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Verschwörung in Florenz

Verschwörung in Florenz

Titel: Verschwörung in Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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Gottes den Weg zu ebnen. So betrachtete es Giacomo. An diesem Tag hatte Cosimo sich zum ersten Mal gefragt, ob auf dem Elixier vielleicht wirklich ein Fluch lastete. Für Cosimo war Giacomos Tat nichts anderes als Mord. Ein ebenso brutaler, kaltblütiger Mord, als hätte er seinem Stiefvater mit eigener Hand die Kehle durchgeschnitten. Noch jetzt liefen ihm Schauer über den Rücken, wenn er daran dachte.
    Seitdem hatten sie sich zunehmend einander entfremdet. Cosimo und Giacomo, die Unzertrennlichen, waren schon längst keine Freunde mehr. Giacomo benutzte das »Geschenk Gottes«, wie er das Elixier zu nennen pflegte, wann immer er den Wunsch danach verspürte, oft täglich, manchmal sogar mehrmals am selben Tag. Und alle Warnungen und Ermahnungen schlug er mit einem Lachen in den Wind. Cosimo hingegen wurde vorsichtiger. Nur noch selten trank er von dem geheimnisvollen Elixier. Mit zunehmender Sorge beobachtete er die Veränderungen, die mit seinem ehemaligen Freund vor sich gingen. Immer öfter dachte er darüber nach, was wohl auf der zweiten Seite des Pergaments gestanden haben mochte, jener Seite, die vermutlich im Laufe der Zeit verloren gegangen war. Hatte sie eine Warnung enthalten, das Elixier zu benutzen? Und während Giacomo immer mehr dem Wahnsinn zu verfallen drohte, suchte Cosimo überall nach der Hexe Arianna und der zweiten Seite der geheimnisvollen Schrift. Doch beide schienen wie vom Erdboden verschluckt zu sein. Und so blieb ihm nichts weiter übrig, als den Tag zu verwünschen, an dem er seinen Freund dazu überredet hatte, die Hexe auf dieser Lichtung zu treffen und das versprochene Geheimnis zu erwerben.
    Cosimo schüttelte sich wie ein Hund, als wären die dunklen Erinnerungen lediglich lästige Fliegen, die er auf diese Weise vertreiben könnte. Doch sie blieben. Sie blieben hartnäckig an ihm haften, verfolgten ihn, quälten und peinigten ihn – jeden Tag, jede Stunde, bis hinein in seine Träume. Träume? Welche Träume? Wer träumte, der schlief für gewöhnlich auch. Er hingegen konnte nicht mehr schlafen. Seit fast dreizehn Jahren nicht mehr. Die Gesichter von Giulio de Pazzi und anderen, die er gekannt hatte und die nun entweder durch Giacomos Schuld tot oder im Unglück waren, raubten ihm den Schlaf. Und das waren nur jene, von denen er wusste. Schlimmer noch waren die vielen Namenlosen, von denen er nicht mit Sicherheit wusste, deren bedauernswertes Schicksal er jedoch erahnte. Sie besuchten ihn, wenn sein Körper vor Erschöpfung vom Schlaf übermannt wurde. Dann tauchten sie aus der Dunkelheit auf. Ihre verschwommenen bleichen Gesichter mit abscheulichen dunklen Höhlen anstelle von Augen und Nasen und weit aufgerissenen zahnlosen Mündern klagten ihn an. Sie verfluchten ihn unter grässlichen Schreien und ließen ihn schweißgebadet wieder erwachen. Tag für Tag, Jahr für Jahr. Wozu brauchte der Mensch die Vorstellung vom Fegefeuer, von der ewigen Verdammnis. Das Leben selbst war Hölle genug.
    Und nun war diese Frau aufgetaucht. Cosimo wollte nichts über die Zukunft wissen, und er wollte auch nichts mehr an der Vergangenheit ändern. Er wollte dem Schicksal nicht ins Handwerk pfuschen, er wollte nicht werden wie sein ehemaliger Freund Giacomo. Das hatte er sich vor einiger Zeit geschworen. Was mochte ihn wohl dereinst, in vielen Monaten, vielleicht sogar Jahren dazu bewegen, seinen Schwur zu brechen und diese Frau zu ihm zu schicken?
    »Du hast zwei Möglichkeiten«, sagte Cosimo leise zu der vor ihm ausgebreiteten Stadt. »Du kannst den Ereignissen ihren Lauf lassen, dich raushalten aus allem, was in den kommenden Tagen und Wochen geschieht, die Augen verschließen und den Rest deines verdammenswerten Lebens so weiterleben wie bisher. Oder du kannst mit dieser Frau reden.«
    Er ballte die Hände zu Fäusten, bis sie taub wurden, während er das Für und Wider gegeneinander abwog, mit sich und seinen Überzeugungen – oder was auch immer davon noch übrig war – kämpfte.
    »Ja«, stieß er aus, als er endlich zu einem Entschluss gekommen war. Sein Ausbruch war so laut, dass ein Kaninchen erschrocken aus dem dichten Gras vor ihm aufsprang und den Hügel hinabflüchtete. »Ich weiß zwar nicht, wer mir dieses Rätsel gestellt hat, noch, welcher Zweck damit erfüllt werden soll. Vielleicht war ich es selbst. Vielleicht aber auch nicht. Doch eines ist gewiss, vor mir liegt eine Aufgabe. Und auch wenn ich sie noch nicht genau kenne, so werde ich mich ihr dennoch

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