Verschwörung in Florenz
stellen.«
Anne ging in ihrem Zimmer auf und ab. Einige Stunden zuvor war sie aus der kleinen Kammer ausquartiert worden und hatte eines der Gästezimmer im ersten Stockwerk des Hauses zugewiesen bekommen. Es war eine entschiedene Verbesserung ihrer Situation – wenigstens räumlich gesehen. Das Zimmer war kaum mehr als solches zu bezeichnen. Es war ein riesiger länglicher Raum mit zwei großen Fenstern, Vorhängen aus schwerer dunkelroter, mit goldenen Sternen bestickter Seide und kostbaren Teppichen. Ein Himmelbett mit einem Baldachin aus dem gleichen Stoff wie die Vorhänge befand sich zwischen den beiden Fenstern. Rechts und links davon standen schwere silberne Leuchter mit Kerzen auf den beiden als Nachttische dienenden Tischen. Farbenfrohe Teppiche mit Männern, Frauen und Fabelwesen schmückten die Wände. Was sie genau darstellen sollten, konnte Anne nur ahnen. Wahrscheinlich handelte es sich um Szenen aus der griechischen oder römischen Mythologie. Vier Stühle, zwei weitere niedrige Tische, ein großer geräumiger Schrank und eine schwere Truhe vervollständigten die Einrichtung. Das Beste aber war der offene Kamin gegenüber vom Bett. In einer Zeit, in der es keine Zentralheizung gab, würde ein offenes Feuer sie vor dem Frieren bewahren. Es war Herbst. Selbst in der Toskana konnten die Nächte zuweilen richtig kalt sein. Und erst recht der Winter.
Jetzt rechnest du sogar schon mit dem Winter, dachte Anne, ohne ihre Schritte zu verlangsamen. Eigentlich war sie selbst überrascht, wie schnell sie sich mit ihrer Situation abgefunden hatte. Dabei war es ja nun wirklich alles andere als alltäglich, im 21. Jahrhundert einzuschlafen und im 15. wieder aufzuwachen. Ob sich auch der Rückweg so einfach gestalten würde? Vielleicht würde sie ja schon morgen früh wieder in ihrem Hotelzimmer aufwachen. Doch sie glaubte nicht daran. Cosimo war kein unbedachter, spontaner Bursche, der in den Tag hineinlebte und alles dem Zufall überließ. Wenigstens nicht der Cosimo, den sie im Jahre 2003 kennen gelernt hatte. Dieser Cosimo hatte alles überaus sorgfältig organisiert und vorbereitet – das Kostümfest, die Kostüme, die Liste der geladenen Gäste, die Speisen, den seltsamen Umtrunk. Alles, was an diesem Abend geschehen war, war bis ins letzte Detail geplant gewesen. Und das war nicht die Ausprägung eines zwanghaften Charakters. Cosimo hatte sich etwas dabei gedacht, da war Anne ganz sicher. Wenn sie ehrlich war, so hatte sie eigentlich nichts dagegen, noch etwas mehr Zeit mit Giuliano zu verbringen. Trotzdem musste sie darüber nachdenken, weshalb sie hier war und wie sie wieder nach Hause kommen konnte. Das war ihre Pflicht.
Irgendwie war es Cosimo gelungen, sie in das Jahr 1477 zu schicken. Die Art und Weise war dabei im Grunde genommen Nebensache. Wichtig war nur das Warum. Weshalb hatte Mecidea sie in die Vergangenheit befördert? Anne verglich in Gedanken den jungen Cosimo mit dem, den sie auf dem Kostümfest kennen gelernt hatte. Der junge Mann hatte auf sie den Eindruck eines Zynikers gemacht, eines gewissenlosen Egoisten, der auf Anstand und Sitten seiner Zeit ebenso begeistert herumtrampelte wie auf den Gefühlen seiner Mitmenschen. Im Gegensatz zum »alten« Cosimo, dem Mäzen der Künstler und Literaten, dem Gourmet. Er war kühl und distanziert, machte sogar einen recht unheimlichen Eindruck. Und ihn umgab eine Schwermut, die dem »jungen« Cosimo fehlte. Wenn Anne jetzt darüber nachdachte, so schien er ihr wie jemand, der eine Last mit sich herumschleppte. Eine Last, derer er sich nicht selbst entledigen konnte. Natürlich war das alles reine Spekulation, die Fantastereien einer nicht besonders begabten Hobbypsychologin. Angie hätte sie gewiss ausgelacht. Aber zur Zeit hatte sie keine andere Möglichkeit. Also angenommen, sie hatte Recht. Hatte Cosimo ein schlechtes Gewissen? Hatte er irgendwann in seinem Leben eine Tat begangen, die ihn all die Jahre hindurch verfolgte? Und hatte er sie in das 15. Jahrhundert geschickt, um diese Tat zu verhindern und ihm seinen Schlaf und seine Seelenruhe wiederzugeben? Sie hätte am liebsten laut aufgelacht bei dem Gedanken, dass sie über eine Lebensspanne von mindestens fünfhundert Jahren nachdachte. Wie absurd das doch alles war, wie unendlich verrückt.
Wenn sie noch lange darüber nachdachte, würde sie bestimmt den Verstand verlieren. Vielleicht war es sogar schon so weit. Trotzdem war es die logischste und zugleich einfachste Erklärung.
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