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Verschwörungsmelange

Verschwörungsmelange

Titel: Verschwörungsmelange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Bauer
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Die Auswahl traf in den meisten Fällen ein Computer.
    Warum war das bloß so? Vielleicht, weil die Menschen Angst
vor der Stille hatten. Wenn es ruhig war, mussten sie innehalten und einmal
tief in sich hineinhören. Dazu waren sie immer weniger in der Lage. Sie
brauchten Geräusche, Berieselung, irgendetwas Künstliches, das sie davor
bewahrte, die Leere in ihrem Inneren zu erforschen.
    Hier, im Heller, hielt man es mit den alten Traditionen. Die
meisten Leute kamen, um zu plaudern oder zu spielen, und zwar ohne irgendein
Gedudel im Hintergrund. Das Kaffeehaus machte sich seine Geräusche selbst: die
gedämpften Stimmen, das Umrühren der Löffel in den Kaffeetassen, das Rascheln
beim Umblättern der Zeitungen, das Knarren der Schritte auf dem Parkettboden,
das Klacken beim Aufeinanderprallen der Billardkugeln. Und oft, wenn gerade
nicht viel zu tun war, lauschten Leopold und Frau Heller andächtig dieser
Melange aus Ruhe und Bewegung.
    Darum wunderte es Leopold, dass Herr Heller schon den ganzen
Dienstagnachmittag an seiner Stereoanlage herumbastelte, die ansonsten ihr
Dasein nur mehr in einem Nebenraum hinter der Küche fristete. Was sollte das
denn werden?
    Auch einige Gäste beäugten diese Entwicklung misstrauisch.
»Sagen Sie, Leopold, gibt es heute etwa eine Veranstaltung, von der wir nichts
wissen?«, erkundigte sich ein Stammgast. »Können wir unsere Zeitung gar nicht
zu Ende lesen?«
    Leopold, der Schlimmes ahnte, antwortete ausweichend: »Ich
weiß von nichts.« Schließlich hörte er es, zuerst undeutlich und leise, dann
aber laut und klar, beinahe zu einer Klangwolke anschwellend aus den
Lautsprechern: ›You’ll never walk alone‹, diesen Uralthit, der, soviel er
wusste, in der Zwischenzeit zu einer Art Credo aller bekennenden
Fußballanhänger geworden war. [9] Er sah
seine ärgsten Befürchtungen übertroffen, noch dazu, wo Frau Heller zu diesen
Klängen freudig aus der Küche hüpfte.
    »Frau Chefin, ist das denn wirklich notwendig?«, fragte er
und hatte Mühe, den Musiklärm zu übertönen.
    »Es ist notwendig, Leopold.«
    »Wenn Sie mich fragen, ist das ein Verstoß gegen die guten
Sitten. Es ist gewissermaßen ein Sakrileg, dass in unserem Kaffeehaus so gut
wie nie Musik erklingt. Und jetzt bringen Sie es doch tatsächlich übers Herz …«
    Jäh unterbrach ihn Frau Heller: »Erstens, Leopold, hat Sie
niemand gefragt, und was in diesem Lokal gute Sitte ist und was nicht, bestimme
seit jeher ich. Zweitens handelt es sich bei diesem Lied um eine Hymne, die die
Fußballfans auf der ganzen Welt in eine Art Taumel versetzt, wenn Sie
verstehen, was ich meine. Und drittens möchte ich mir durch Ihre fortwährende
schlechte Laune nicht den ganzen Tag verderben lassen.«
    »Mir haben Sie ihn jedenfalls schon verdorben.«
    »Weil Sie keinen Sinn fürs Geschäft haben. Ich habe gesagt,
heute Abend ist eine Fußballsitzung, und der hat sich alles unterzuordnen. Ich
weiß, wovon ich rede, glauben Sie mir. Sehen Sie nicht, welche große, einmalige
Chance da auf uns zukommt, Leopold? Sehen Sie nicht, welches Potenzial an neuen
Kunden draußen auf uns wartet? Der Fußball ist die Zukunft, und wenn wir es
geschickt anstellen, werden die Fans in Massen zu uns strömen.«
    Leopold sah sich kurz um. Von Taumel keine Rede, höchstens
vom Hinaustaumeln. Bei den ersten Tönen des Liedes hatten die meisten Gäste
nämlich fluchtartig das Lokal verlassen. Man konnte den verbliebenen Rest an
den Fingern einer Hand abzählen. »Bei der Hymne sind jetzt fast alle gegangen,
und nicht ein Einziger ist hereingeströmt«, bemerkte er trocken.
    Frau Heller schüttelte über so viel Unverstand den Kopf.
»Noch einmal: Wir investieren hier in die Zukunft, Leopold, in eine ungewisse,
aber hoffentlich rosige Zukunft. Wir müssen umdenken. Unsere Stammgäste werden
weniger, wenn einer stirbt, kommt leider nicht so schnell einer nach. So ist
das eben. Also müssen wir neue Märkte für uns erschließen. Und unsere Gäste
heute Abend werden wir mit der Hymne empfangen, aus, basta. Aber was rede ich,
Sie haben einen Grant und wollen mir ohnedies nicht zuhören. Wahrscheinlich
wollen Sie mir jetzt auch noch weismachen, es wird gleich wieder ein Verbrechen
passieren.«
    Leopold wagte es jetzt, mit erhobenem Zeigefinger auf Frau
Heller zuzugehen. »Mit solchen Dingen scherzt man nicht, Frau Chefin. Denn,
wenn Sie meine ehrliche Meinung hören wollen: Eine solche Versammlung, die ja

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