Verschwörungsmelange
zusammengestellten Tische
gebreiteten Tischtüchern erinnerten daran, was sich vor wenigen Minuten hier
abgespielt hatte. Auf einem Garderobeständer hing eine vergessene Kappe. Die
Leuchtstoffröhre über dem zweiten Billardtisch summte leise. Im Café Heller war
es seltsam ruhig geworden.
»Glauben Sie wirklich, dass die hinüber auf den Platz
gegangen sind, Leopold?«, wollte Frau Heller wissen.
»Da können Sie Gift darauf nehmen«, antwortete Leopold,
während er ein Tablett voll schmutziger Gläser abstellte.
»Aber die sind doch gar nicht mehr in der Lage, irgendetwas
auszurichten«, bemerkte Frau Heller kopfschüttelnd.
»Das wollen sie auch nicht. Irgendein gescheiter
Mensch hat einmal ein Buch geschrieben, in dem er behauptet, dass so ein
Haufen, wie er gerade eben bei uns hinausgewankt ist, erst durch die Entladung
zu einer richtigen Masse wird. [10] Die wollen sich nur ein bisschen abreagieren und ihren Frust loswerden. Da bin
ich immerhin froh, dass diese Entladung nicht bei uns stattfindet. Ich sage
Ihnen ja die ganze Zeit, Frau Chefin: Wo viele Menschen zusammenkommen, ist die
Gewalt nicht weit weg. Und mit Ihrer Hymne haben Sie alle zusätzlich
aufgestachelt. Ich befürchte das Schlimmste.«
»Ach, Leopold, Sie vermuten einfach hinter allem und jedem
ein Verbrechen, da kann man gar nicht normal mit Ihnen reden.«
»Sie werden sehen, dass ich recht hab.«
»Darüber möchte ich nicht mit Ihnen streiten. Macht Ihnen
etwa schon wieder Ihr Alter zu schaffen, dass Sie so grantig sind?«
»Es geht. Nur bei der Hymne habe ich Kreislaufprobleme
bekommen.«
Frau Heller ignorierte diese Bemerkung, überlegte einen
Augenblick, warf einen Blick in das leere Lokal und sagte dann: »Wissen Sie
was, Leopold? Ich glaube, wir sperren jetzt zu. Auf die paar Herumtreiber, die
vielleicht noch auftauchen, können wir verzichten. Es war ein anstrengender
Tag.«
Leopold schaute sie kurz ungläubig an.
»Ja, ja, Sie haben schon richtig gehört«, kam es wie zur
Bestätigung von Frau Heller. »Sie können nach Hause gehen. Mein Mann und ich
möchten allein sein.« Dabei sah sie Herrn Heller mit großen Augen an wie einen
Helden.
»Ja, mein Liebling«, turtelte der wie in seinen besten Tagen
und nahm sie fest in seinen Arm.
»Na, dann will ich nicht länger stören«, stellte
Leopold fest. Während er sich umzog, überlegte er, wie er seinen weiteren Abend
zu gestalten gedachte. Es fiel ihm ein, dass Thomas Korber nicht zu der
Versammlung gekommen war, obwohl er ihn darauf aufmerksam gemacht hatte.
Natürlich war er neugierig, was ihn davon abgehalten haben könnte. Etwa gar der
neue Nachhilfeschüler mit Mutter? Wichtiger war jedoch, ob sich am Platz der
Floridsdorfer Eintracht Entscheidendes getan hatte. Die Theorie von der
Entladung der Masse hatte etwas für sich.
4
Als Leopold das Rad, das er von seinem
steirischen Freund Daniel erstanden hatte [11] , vor dem
Sportplatz der Eintracht Floridsdorf abstellte, taumelten ihm aus dem Eingang
einige Überreste der Versammlung im Heller entgegen, immer noch ›einträchtig –
übermächtig‹ skandierend, jetzt aber nicht mehr so feurig wie ehedem. Der ganze
Haufen machte einen reichlich ramponierten Eindruck. Man hatte offenbar eine
weitere kräftige Ladung zu sich genommen.
»Hallo, Leopold! Du hier?«, grölte ihm Paul Wittmann
entgegen. »Hast wohl Appetit auf ein gepflegtes Kantinenbier bekommen. Aber
beeil dich. Die Posch Gretl ist schon beim Zusperren.«
»Ist ja auch rundgegangen«, krächzte einer seiner Kollegen,
der sich nur mehr mit Mühe auf den Beinen halten konnte. »Sogar rausgeworfen
hat sie einige, weil sie den Brown und den Ehrentraut beleidigt haben.«
»Dem Wotruba und seinem Freund Schimek haben sie sogar ein
Platzverbot erteilt«, erklärte Wittmann. »Die haben denen einmal so richtig
schön die Meinung gesagt. Da war einiges los, wie du dir vorstellen kannst.
Hast was versäumt.«
Leopold konnte es sich vorstellen. Die Entladung hatte also
stattgefunden.
Er betrat die Kantine.
»Ach du mein Schreck«, tönte ihm gleich die wohlbekannte,
aber gar nicht freundliche Stimme der Posch Gretl entgegen. »Das gibt’s ja
nicht. Der Leopold aus dem Café Heller, der sich immer so abschätzig über
unsere Ware äußert. Kommt jahrelang nicht daher und taucht dann plötzlich zur
Sperrstunde auf, wenn man am liebsten schon seine Ruhe hätte. Wenn du noch
etwas trinken willst, muss es aber
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