Verschwörungsmelange
ersten Wut.«
»Ich weiß nicht, ich habe einfach ein ungutes Gefühl. Und was
das Schlimmste ist: Vorhin beim Zusammenräumen ist mir aufgefallen, dass eins
von den großen Schneidemessern fehlt. Ich bilde mir ein, dass es zuerst noch da
war.«
»War der Bertl heute Abend auch in der Kantine?«, fragte
Leopold.
»Ja, sicher! Er hat gewartet, bis der ärgste Wirbel vorüber
war und die beiden Unruhestifter draußen waren. Dann hat’s ihm aber gereicht.
›Glaubt’s ihr, für einen Bettel spiele ich bis in die Nacht den
Hinausschmeißer?‹, hat er gesagt. Dann ist er gefahren, und ich bin halt
geblieben, weil nach wie vor viele Leute da waren. Und schließlich hat der
Ehrentraut seinen Aktenkoffer deponiert und ist verschwunden.«
Leopold schüttelte den Kopf. »Wenn der Bertl vorher
weggefahren ist, kann er nicht der Täter sein«, stellte er fest.
»Hast du eine Ahnung. Bei der Matchuhr hinten ist ein
mannsgroßes Loch im Drahtzaun, das irgendwelche Vandalen am Wochenende gemacht
haben. Der Riediger, unser Platzwart, hat’s jedenfalls nicht repariert, nur ein
bisschen zugedeckt.«
»Du meinst also, Ehrentraut hätte sich mit Bertl bei der
Matchuhr treffen können, ohne dass es jemandem aufgefallen wäre«, schloss
Leopold messerscharf. »Sagen wir, sie wollten über diese neue Kantine reden,
aber unter sich, ohne das Beisein Browns. Bertl ist nur zum Schein weggefahren
und steigt durch das Loch im Zaun wieder ein. Sie fangen an zu debattieren.
Ehrentraut kommt mit einer fadenscheinigen Lösung, um Bertl zu besänftigen, der
ist aber bereits geladen. Das Messer hat er bei sich, und als ihm Ehrentraut
den Rücken zukehrt, sticht er zu.«
»Vielleicht.« Gretl Posch hatte sich einen doppelten Schnaps
eingeschenkt und kippte ihn, ohne mit der Wimper zu zucken, in einem Zug
hinunter.
»Wir müssen hineinschauen«, verkündete Leopold, und man
merkte ihm dabei eine gewisse Vorfreude an.
»Was müssen wir?« Gretl verstand gar nichts.
»Hineinschauen. In den Koffer.« Leopold zeigte unbarmherzig
mit der rechten Hand auf das Objekt seiner Begierde.
Gretl Posch verstand noch immer nichts.
»Es könnten Beweismittel drin sein, die deinen Mann, den
Bertl, entlasten«, erklärte Leopold.
»Ja, aber dürfen wir denn das? Sollten wir nicht lieber
gleich die Polizei rufen?«
Mein Gott, wie man nur so begriffsstutzig sein konnte! »Auf
die paar Minuten kommt’s jetzt auch nicht mehr an«, sagte Leopold. »Wir sollten
uns doch vergewissern, ob jemand anders auch einen Grund gehabt haben könnte,
Ehrentraut zu töten. Dann kennen wir uns wenigstens aus. Dann sind wir
gewappnet, wenn sie uns ins Verhör nehmen. Wir müssen es eben so machen, dass
es keiner merkt, verstehst du?«
Gretl Posch begann jetzt wieder stärker zu schnaufen und kippte
noch einen Schnaps hinunter. Leopold nahm zwei dünne, durchsichtige
Wegwerfhandschuhe aus seiner Blousontasche und zog sie über seine Hände. »Das
ist nur wegen der Fingerabdrücke«, meinte er beschwichtigend. »Die sind recht
praktisch. Hab ich von der netten Dame in der Feinkostabteilung im Supermarkt
geschenkt bekommen. Im Kaffeehaus hab ich noch einige in meiner Lade.«
»Wenn wir nur nichts
Verbotenes machen.« Gretl wischte sich mit der Hand über die Stirn. Ihre
Nervosität stieg ins Unermessliche. »Außerdem hat der Koffer ein
Zahlenschloss«, stöhnte sie. »Wie willst du das so schnell aufkriegen?«
»Nur ruhig Blut, das
haben wir gleich.«
Natürlich wusste Leopold, dass die Sache nicht so einfach
war. Das Schloss hatte vier Stellen, also gab es insgesamt 10.000
Möglichkeiten. Wenn er für eine Kombination etwa drei Sekunden rechnete, waren
das zwanzig Kombinationen in der Minute und immerhin 1.200 in der Stunde, ohne
Verschnaufpause. Bis er alle Varianten durchgespielt hatte, würde es mehr als
acht Stunden dauern. Und die Zeit hatte er nicht, vor allem, wenn er daran
dachte, was er sich dann wieder von seinem Intimfeind Bollek anhören konnte.
Aber die Chancen, den Code schnell zu knacken, standen auch nicht sehr günstig.
»Weißt du, wie alt Ehrentraut war, Gretl?«, fragte er.
»Keine Ahnung, aber ich schätze, um die 50. Er hat sicher
jünger als sein tatsächliches Alter ausgesehen, weil er sich immer so fesch
hergerichtet hat. Wieso?«
Leopold ignorierte Gretl Poschs stupide Fragen. »Welcher
Monat? Welcher Tag?«, bohrte er weiter.
»Wie soll ich denn das wissen?«
»Vielleicht hat er ihn
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