Verschwörungsmelange
Notizblock abgerissen worden war. Darauf stand, hastig
hingeschrieben, eine Handynummer, aber dazu kein Name, nichts. ›Auch gut‹,
dachte er und steckte das Blatt ohne viel nachzudenken, sozusagen aus alter
Gewohnheit, ein. Dann machte er den Koffer zu und stellte ihn auf seinen
vorigen Platz.
Es war ein schönes Stück Zeit vergangen. Jetzt musste Leopold
die Polizei, genauer gesagt seinen alten Freund Oberinspektor Juricek, anrufen,
ob er wollte oder nicht. Während er die Nummer wählte, rief er Gretl Posch noch
einmal mahnend zu: »Kein Wort von unserer Aktion mit dem Koffer!«
*
Der rotgesichtige, spärlich behaarte und leicht
cholerische Inspektor Bollek wirkte bereits ein wenig müde, aber angriffslustig
wie immer, als er die Kantine betrat. »Sieh an, der Herr Chefober. Der Mann mit
dem Dingsda in seinem Namen, dem ›W‹«, grüßte er mürrisch.
»Das ›Dingsda‹ ist eine Initiale, darauf lege ich größten
Wert«, sagte Leopold.
»Weiß ich. Machen wir’s kurz. Sie haben wieder einmal die
Leiche gefunden?«
»Ja natürlich, sonst hätte ich ja nicht angerufen.«
»Lassen Sie Ihre dummen Scherze. Wann und wo war das?«
»Also gefunden habe ich den Herrn Ehrentraut dort,
wo er vermutlich jetzt noch liegt und sich Ihre Leute gerade an ihm zu schaffen
machen, nämlich hinter dem herüberen Tor unter der Matchuhr. Und wann? Mein
Gott, es war dunkel, und ich habe nicht gleich auf die Uhr geschaut. Aber es
wird ungefähr halb zwölf gewesen sein.«
»23.30 Uhr, meinen Sie. Aha! Wahrscheinlich haben Sie wieder
an dem Toten rumgefummelt, alle Spuren verwischt und vergessen, wie spät es
ist. Und sonst? Wissen Sie vielleicht schon, wer der Täter ist?«
»Nein, woher sollte ich?«, fragte Leopold mit gespielter
Unschuld.
»Hätte ja sein können«, bemerkte Bollek, und sein Gesicht
verzog sich dabei zu einem fratzenartigen Grinsen. »Da hätten Sie uns allen
eine Menge Arbeit erspart. Woher kommt es eigentlich, dass Sie immer dort sind,
wo sich eine Leiche befindet? Was suchen Sie überhaupt hier? Ihr Kaffeehaus ist
doch ganz woanders?«
»Wir haben heute früher Schluss gemacht, und da habe ich noch
auf ein Getränk vorbeigeschaut. Das ist ja nicht verboten, oder?«
»Nein, nein, keineswegs. Aber warum sind Sie dann plötzlich
in der Dunkelheit hinter das Tor marschiert? Um frische Luft zu schnappen? Oder
weil Ihnen gerade danach war, Ihr Wasser in der freien Natur zu lassen?
Antworten Sie! Da stimmt doch etwas nicht, da ist doch was faul.«
Leopold hatte sich bis jetzt zurückgehalten, weil es ihm
lästig war, sich ständig an dem Herzinfarktkandidaten Bollek aufzureiben. Aber
jetzt platzte es aus ihm heraus: »Hören Sie zu, muss ich mich für jeden meiner
Schritte bei Ihnen rechtfertigen? Da drüben liegt eine Leiche, und es ist ein
Mord geschehen. Wie wär’s, wenn Sie einmal Fragen stellen würden, die zur
Aufklärung des Falles beitragen können, anstatt mich vor anderen Leuten so
schikanös zu behandeln?«
Damit meinte er Gretl Posch, die der Befragung bisher mit
weit geöffneten Augen gefolgt war und glaubte, sich jetzt einmischen zu müssen.
»Der Herr Leopold hat nachgeschaut, wo der Herr Ehrentraut so lange bleibt«,
gab sie gehorsam zu Protokoll. »Ich wollte endlich nach Hause fahren und alles
zusperren, aber Herr Ehrentraut war noch irgendwo hier auf dem Platz. Wissen Sie,
er hat nämlich seinen Koffer hier …«
»Ja?«, fragte Bollek und schielte neugierig in die von Gretl
Posch angedeutete Richtung.
»Seinen Koffer hat er bei mir gelassen, und dann
ist er ihn nicht mehr holen gekommen, und das hat uns irgendwie misstrauisch gemacht«,
erklärte sie.
»Beweisstück Nummer 1«, stellte Bollek zufrieden
fest. Schon wollte er eine eingehendere Untersuchung desselben vornehmen, als
Frau Inspektor Dichtl die Kantine betrat.
»Hallo, Bollek«, rief sie. »Sie mögen mit Herrn
Leopold Hofer gleich zum Chef kommen. Er wartet bei der Leiche auf Sie beide.
Um die Kantinenwirtin hier kümmere ich mich.«
»Er ist schon da?«, fragte Bollek ungläubig. »Da hätten wir
ihn ja kommen sehen müssen.«
»Ich weiß auch nicht«, verkündete Frau Dichtl achselzuckend.
Oberinspektor Richard Juricek hatte die Angewohnheit, stets ein wenig später am
Tatort zu erscheinen, dann, wenn er bereits auf erste konkrete Ergebnisse
hoffen konnte. Vorher überließ er das Feld gern der Spurensicherung und seinen
beiden Ermittlungshelfern,
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