Verschwörungsmelange
Versammlung aufgestaut hatte
und durch die kampfeslustige Musik noch verstärkt worden war.
»Aber Leopold«, lächelte Frau Heller ihn mit verklärten Augen
an. »Unsere Versammlung soll es gewesen sein? Das kostet mich nur einen Lacher.
Mir scheint, Sie erkennen die wahren Zusammenhänge nicht. Herr Ehrentraut ist
an seinem Tod selber schuld. Man geht mit einer traditionsbeladenen Einrichtung
wie unserer Eintracht Floridsdorf nicht um wie mit einem Spielzeug. Die Leute
wollen ihren Klub haben, mit dem sie sich identifizieren können, auch wenn es
einmal sportlich nicht so läuft. Wer vorhat, ihnen das wegzunehmen, ist eben
seines Lebens nicht mehr sicher.« Sie winkte ihn mit dem Finger näher an sich heran und flüsterte ihm ins Ohr: »Wir
müssen weiterkämpfen, Leopold!« Dann verschwand sie wieder in ihrer kleinen
Küche.
Leopold schüttelte schmunzelnd den Kopf. So viel Ehrgeiz
hatte er seiner Chefin nicht zugetraut. Aber er durfte nicht seinen eigenen
Kampf vergessen, den Kampf gegen das Verbrechen, das am gestrigen Abend
passiert war, und dabei durfte man die Dinge nicht so vereinfacht sehen.
Während er eine Melange zum zweiten Fenster trug, erinnerte er sich daran, dass
er Bettina Ehrentraut, die Gattin des Mordopfers, anrufen wollte. Gott sei Dank
war ihre Telefonnummer im Frisiersalon noch geläufig gewesen, als er sich vor
seinem Dienstantritt danach erkundigt hatte. »Hallo?«, hörte er es zögernd am
anderen Ende der Leitung.
»Hier Leopold. Der Ober vom Café Heller.«
Keine Reaktion.
»Erinnern Sie sich? Das Kaffeehaus gegenüber dem
Friseurgeschäft, wo Sie immer Ihren kleinen Braunen getrunken haben«, erklärte
er.
»Ach ja … ja, natürlich.«
»Bitte seien Sie nicht böse, dass ich Sie anrufe. Aber ich
habe … ich wollte … ich wollte Ihnen nur mein herzlichstes Beileid zum Tod
Ihres Mannes aussprechen.«
»Sie haben ihn gefunden, nicht wahr?«
»Das kann man so sagen, ja«, kam es gepresst aus Leopold
heraus. Er mochte solche unnatürlichen Gesprächssituationen gar nicht.
»Wissen Sie, dass ich es bisher gar nicht realisiert habe?
Ich habe es ja erst spät in der Nacht erfahren, kurz nachdem ich von einer
Vernissage nach Hause gekommen war. Heute Früh war dann gleich die Polizei bei
mir, und seither … geht alles drunter und drüber.« Bettina Ehrentraut sprach
langsam, und ihre Stimme hatte einen eigenartigen Klang. Leopold konnte nicht
ausmachen, ob es der Schock, die Trauer oder eine leichte Unpässlichkeit nach
einer langen Nacht war.
»Ich wollte jedenfalls nicht stören«, sagte er.
»Aber Sie stören ja nicht. Ich bin froh, wenn ich in einer
solchen Situation mit jemandem reden kann, und früher haben wir doch immer so
nett miteinander geplaudert. Es ist nur momentan alles so … ich weiß nicht!
Dabei ist es kein Geheimnis, dass mein Mann und ich uns nicht mehr geliebt
haben.«
»Kommen Sie doch auf ein Sprüngerl vorbei, wenn es sich
ausgeht«, versuchte Leopold sich in seinem charmantesten Ton.
»Das wäre vielleicht wirklich keine schlechte Idee«,
überlegte Bettina. »Warten Sie … Wie wäre es um halb zwei?«
»Ausgezeichnet.«
»Dann komme ich.«
Leopold war zufrieden. Fürs Erste hatte er erreicht, was er
wollte. Bettina Ehrentraut würde ihn im Kaffeehaus aufsuchen, um sich einen
Teil der Last, die jetzt auf ihr lag, von der Seele zu reden. Sie war schon
immer eine Plaudertasche gewesen. Also würde er etwas von ihr in Erfahrung
bringen, egal, wie ihre augenblickliche Gemütsstimmung wirklich war. Und
vielleicht war sie doch in die Sache verwickelt? Die Ehe war nicht mehr sehr
rund gelaufen, hatte er gehört. Wer weiß, was sich zwischen den beiden in
letzter Zeit abgespielt hatte. Wenn er da an die Nacktfotos in Ehrentrauts
Koffer dachte …
Plötzlich schaute Leopold in ein Gesicht, das ihm extrem
unsympathisch vorkam: dunkelblondes Haar, mit viel Brillantine in Form gebracht
und zur Seite gestriegelt; unruhige Augen unter buschigen Brauen; ein schmaler
Mund, der auch dann, wenn er halb geöffnet war, keinen Blick auf die Zähne
freigab; die Stirn erwartungsvoll, beinahe fordernd hochgezogen. Der ganze Mann
duftete nach Rasierwasser und Deo und wirkte in seinem hellblauen Anzug mit
weißem Hemd und roter Krawatte beinahe schon zu auffällig in dieser Umgebung.
Eine alte Weisheit sagt: Wenn einer besonders elegant und
vornehm tut, dann lass ihn erst einmal den Mund aufmachen. So war es auch
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