Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)
bereit, selbst wenn dafür überhaupt keine Verwendung bestand. Seit dieser Begegnung trat er als verkleideter Engländer auf, allerdings als Engländer in einer Komödie. Er trug einen breit karierten, grauen Gehrock, eine graue Krawatte, Zylinder, weiße Gamaschen; ein Monokel steckte ihm im Auge, und über sein aufgedunsenes Säuglingsgesicht hatte er sich einen Backenbart wachsen lassen. Die beiden kamen herauf und begannen unverzüglich zu politisieren.
»Waf fagft du fur parlamentarifen Lage?«, wurde Abády von Isti gefragt. Und er fuhr, ohne die Antwort abzuwarten, gleich fort: »Ich halte fie für beforgniferregend. Ich habe Gyula Juft auch erklärt, daff die Reform der Haufordnung nicht aktuell fei.«
»Warum denn nicht?«, unterbrach ihn Alvinczy. »Kossuth hat recht, wenn er Ordnung haben will, denn eine nationale Regierung ist etwas anderes, als wie wenn sie das nicht wäre …«
»Die englöfe Verfaffung«, beteuerte Kamuthy, der »englisch« als »englöf« aussprach, kenne keine Hausordnung. »Dort geht man gemäff dem Gewohnheitfrecht vor …«
Der alte Kajsza knurrte kurz, da er seine üblichen Sprüche vor den Damen nicht loswerden durfte, er erhob sich unter großem Gepolter und entfernte sich. Die armen Lady-Patronessen hielten auch nicht lange durch; nach und nach stiegen sie vom Podium hinunter. Auch Bálint flüchtete von der Bühne. Der Hüne Farkas und der Zwerg Isti aber blieben oben stehen und diskutierten vor aller Augen weiter, ganz in der Meinung, ihre Auseinandersetzung biete einen eindrücklichen Anblick.
Schließlich nötigte sie einer der Organisatoren, ihren Standort oben aufzugeben, weil jetzt die Vorstellung an der Reihe sei; das Publikum habe den Saal gefüllt und warte schon. Dann war auch dieser Programmpunkt vorbei. Und zwar schneller, als man erwartet hatte, denn eine der Hauptnummern, László Gyerőffys Violinspiel, fiel aus. Er war, zusammen mit dem alten Dániel, dermaßen benebelt, dass man beide stützen und hinausführen musste, bevor Schlimmeres geschah. Der überwiegende Teil des Publikums verzog sich. Man schloss also die Veranstaltung. Jetzt, wo der Saal leer war, bot er ein völlig verändertes Bild. Bei der Eröffnung hatte er einem orientalischen Markt geglichen, nun sah er eher einem Zigeunerlager ähnlich. Die Besucher hatten die Stände leergekauft. Vielerorts waren selbst Teile der Dekoration zu Geld gemacht worden. Anderswo hatte sich die Verschalung gelöst, Lattengerüste ragten nun in die Höhe. Die Verkäuferinnen übergaben ihre Geldbüchsen dem Sekretär der Vereinigung, und jetzt endlich war für sie das Abendessen an der Reihe.
Laut dem ursprünglichen Programm hätten sich die Damen, die den Verkauf bestritten hatten, in den benachbarten Speiseraum begeben sollen, wo sie ein kaltes Buffet erwartete. Stattdessen blieben sie fast vollzählig im Saal, während die zu ihrem Kreis gehörenden zahlreichen Anbeter Schüsseln, Teller, Gläser und Champagner herüberbrachten, ja einige trugen sogar Tischtücher herbei. Diese wurden auf dem Parkett oder auf Gestellen ausgebreitet, und die Männer legten darauf, was sie beim Buffet geraubt hatten. Zwei bis drei Gruppen machten gemeinsame Sache, zusammen saßen sie im Türkensitz auf Teppichen, die früher als Schmuck der Zelte gedient hatten, oder nahmen auf leeren Kisten und auf Verkaufstheken Platz; neben ihnen oder in ihrer Mitte lagen die kleingeschnittenen Reste von Truthahnbraten, Pasteten und Schinken. Frauen und Männer im bunten Durcheinander überschwemmten auf solche Art den mittleren Gang. Und kaum waren einige Minuten verstrichen, da erschien – versteht sich – Laji Pongrácz, der Zigeunerprimas, mit seiner ganzen Kapelle, und Lieder stiegen von seiner singenden Geige auf.
Adrienne und ihre Gesellschaft besetzten das nahe Podium und die hinaufführende Treppe. Hier war es am geräumigsten. Und das passte auch, denn diese Gruppe war die größte. Auch die beiden anderen Laczók-Mädchen, Frau Szentpáli und Dodó hatten sich ihr angeschlossen. Selbst die kleine Margit, freilich ein wenig zerzaust, kam wieder zum Vorschein. Ádáms rechte Schulter war vom grünlichen Kalk der Wand verfärbt, aber wer wollte in solchen Minuten auf derartige Kleinigkeiten achten! Im Schlepptau der hübschen Frau Körösi und ihrer Freundinnen waren die zu ihnen gehörenden, in der Stadt wohnhaften jungen Männer mit dabei, und sie überfluteten die andere Seite des Podiums. Auch Jóska Kendy, der Herr
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