Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)
Ihretwegen wird er zum Basar kommen, vor dem Angesicht seiner Mutter zu ihr hingehen und ihr den Hof machen, wo sie doch die Beziehung der beiden mit so viel Kummer verfolgte. Und wenn die Frau ihren Sohn wenigstens liebte! Ach wo! Sie kokettiert mit jedem, vor allem mit Ambrus Kendy. Gewiss liebt sie ihn, diesen bäurischen Mann. Bestimmt hat sie mit ihm ein Verhältnis, das heißt mit ihm auch, dachte Frau Abády, und ihr Herz verkrampfte sich voller Hass. Die alte Lizinka aber fuhr fort zu flüstern: »Siehst du, liebste Róza, so sind diese Frauen von heute. Ein Hengst genügt ihnen nicht, sie brauchen davon gleich dutzendweise. Schau nur, schau, wie sich die Frau Uzdy meinem Vetter Ambrus zuneigt, am liebsten würde sie sich ihm vor unseren Augen auf den Schoß setzen …«
Adrienne kokettierte heute tatsächlich sehr mit Onkel Ambrus. Sie tat es absichtlich. Bálint war angekommen. Er würde sie hier aufsuchen. Es war wichtig, dass dies nicht auffiel, dass es hierüber keinen Klatsch gab. Wichtig insbesondere Uzdys wegen, der sich da herumtrieb und manchmal von der Höhe seiner baumlangen Gestalt über die vielköpfige Menge hinweg zu ihr herüberblickte. Würde er doch die Affäre mit Ambrus ernst nehmen, dann gäbe er auf Bálint nicht acht.
Frau Róza saß steif auf ihrem Stuhl. Ihre leicht vortretenden Augen beobachteten die Tür. Wann wohl würde ihr Sohn eintreffen? Sie gab Lizinka keine Antwort und hoffte, Frau Sarmasághy werde den Gegenstand, der ihr ohnehin so viel Leid verursachte, endlich fallenlassen. Doch die greise Lizinka fuhr unentwegt fort: »Einzig das begreife ich nicht, womit sie sich die Männer angelt. Ambrus war immer ein flatterhafter Mensch, und jetzt hängt er dieser Person schon über ein Jahr am Schürzenzipfel. Wie eine Hexe, so ist sie vielleicht, kennt irgendein Mittel, von dem wir, meine Liebste, keine Ahnung haben.«
Sieben Uhr war vorbei. Die Menge hatte leicht abgenommen. Viele blieben freilich noch immer da, hauptsächlich jene, die, zusammen mit den Verkäuferinnen, beim kalten Buffet in der Redoute ihr Nachtmahl einzunehmen gedachten. Doch bis dahin hatte man noch reichlich Zeit. Vorher sollte noch das Laientheater stattfinden, zu dem man eine neue Besucherwelle erwartete.
Nun kam Bálint an. Er begab sich nicht gleich zu Adriennes Stand. Zuvor machte er anderswo eine Reihe von Besuchen und ging auch hinauf zu den Patroness-Damen, die sich auf dem Podium vornehm langweilten, was weder dadurch eine Änderung erfuhr, dass sich der wortkarge Sándor Kendy zu ihnen setzte, noch durch die Anwesenheit des pensionierten Majors Bogácsy, der ihnen mit vorzüglicher Fachkenntnis eine komplizierte alte Duellgeschichte erläuterte. Bálint küsste die Hand der Mutter und der anderen Damen, litt es, dass die greise Lizinka ihm einen Schmatz auf die Stirn drückte, er setzte sich neben Frau Gyalakuthy und hörte sich aufmerksam Bogácsys Beweisführung an.
Bewogen vielleicht dadurch, dass er, ein junger Mann, auf dem Podium Platz genommen hatte, kamen auch Farkas Alvinczy und der kleine Kamuthy herbei. Beide maßen dem Faktum, dass sie nun Abgeordnete waren, äußerste Wichtigkeit bei. Sie erachteten es somit für richtig, sich zum Beweis ihrer Ernsthaftigkeit von der flirtenden und witzelnden Menge zu lösen und über die Stufen zu der von allen Seiten gut sichtbaren Bühne hinaufzusteigen. Farkas hatte sich, seitdem er zu den Gesetzgebern gehörte, stark verändert. Er, früher ein liebenswerter, guter Bursche, ein vorzüglicher Vortänzer und ein etwas leichtsinniger Trinkkumpan, meinte nun, vorführen zu müssen, welch bedeutender politischer Faktor er war. In der Hauptstadt bestand seine Rolle allerdings nur darin, dass er gelegentlich im Parlament oder auf Versammlungen der Unabhängigkeitspartei seine Stimme abgab. Dass er dort nur als einer unter vielen zählte, war ihm aber nicht bewusst, und vor den Verwandten wollte er nun den eigenen Ernst demonstrieren. Sein schönes, griechisch geschnittenes Gesicht – hierin glichen sich die Gebrüder Alvinczy alle – lächelte nie, und wenn er sprach, so einzig über Politik. Auf den kleinen Kamuthy hatte Budapest eine noch schlimmere Wirkung ausgeübt.
Er war richtig äffisch geworden. Irgendein Schneider hatte ihm die Überzeugung eingepflanzt, sein Äußeres wirke englisch. Für den kleinen Isti Kamuthy war das eine Offenbarung. Dies umso mehr, als er von Natur aus lispelte, folglich war das »th« in seinem Mund stets
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