Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)
und die Wochen vergingen leichter; ihre Öde hätte sie sonst kaum ertragen. Ihr wurde auch ein bisschen Freude zuteil. Die kleine Klémi – man hatte das Mädchen auf den Namen ihrer Großmutter getauft – schien sich ihr gegenüber ein wenig zu erwärmen. Während der langen Genesung kam es manchmal vor, dass das Töchterchen ihr zulächelte. Auch geschah oft, dass beim Ablösen, wenn die Adrienne bei der Kranken zugeteilte Zeit um war, das Kind sie zurückzuhalten suchte: »Bleib noch, geh nicht, bleib da …« Und mit ihren Patschhändchen ergriff sie Adriennes Hand. Dabei schaute sie verschmitzt die Großmutter an, denn dergleichen kam immer nur dann vor, wenn die alte Frau dabeistand. War die Großmama abwesend, dann sagte das Kind nichts Derartiges. Oder doch? … Nein. Einzig im umgekehrten Fall.
Fast drängte sich der Eindruck auf, das Kind wisse, dass ihr Benehmen die Großmutter ärgere, und es handle aus keinem anderen Grund so. Adrienne aber lehnte es ab, dies zur Kenntnis zu nehmen, sie wollte vielmehr glauben, dass sich das Kind eher zu ihr hingezogen fühlte.
Als das kleine Mädchen genas, brachte sie die alte Frau Uzdy von ihr fort. Sie fuhr mit ihr nach Meran, wie sie es sonst immer schon vor Weihnachten zu tun pflegte. Hätte man sie nicht weggebracht, so wäre es Adrienne vielleicht tatsächlich gelungen, das Herz der kleinen Klémi zu erobern. Aber sie war fort. Sie würde den Kampf um den Besitz des Kindes neu beginnen müssen. Und dies würde sie denn auch tun, es für sich gewinnen. Das waren die Gedanken, die Adrienne durch den Kopf gingen, während sie vor sich hin starrte und die dunkle Decke ansah. Doch die Glastür des benachbarten Salons klirrte. Die nahende Freude des Wiedersehens löschte in ihr plötzlich, wie eine Welle, jede schmerzende Erinnerung aus.
»Das ist kein Leben so!«, wiederholte Bálint. »Das ist kein Leben!« Und er begann abermals seine lange Erklärung über Addys Scheidung und führte jedes Argument von neuem an. Sie lehnten sich, eng aneinandergeschmiegt, in die Kissen zurück und verharrten so beinahe regungslos. Die volle Hingabe macht es sich in jeder Lage bequem. So wie die Seelen einander stumm verstanden, passten sich auch ihre Körper in vollkommener Harmonie an, so wie große Wildtierpaare in den Gehegen mit der Natürlichkeit vertrauensvoller Ruhe ineinander verschlungen zu schlafen pflegen. Ihre Gesichter ruhten nebeneinander. Die leise ausgesprochenen Worte, aus nächster Nähe an den anderen gerichtet, waren beinahe auch Küsse.
Es ging um Adriennes Scheidung, Bálint setzte ihr das Thema schon seit einer guten Weile auseinander. Notwendig und unvermeidlich sei sie. Er erwähnte jeden Umstand, jeden Grund, fügte seine Beweise überzeugend zusammen. Vielleicht wirkten sie so noch überzeugender, wo nun seine Haut sich an sie anschmiegte, seine Arme Adrienne umschlangen, die Hand streichelte und sein Mund sie sachte mit Küssen bedeckte und alles von der Befreiung und der Aussicht sprach, für immer vereint zu bleiben. Addy indessen brachte es fertig, trotzdem ihre Sachlichkeit zu bewahren. Vielleicht wäre es tatsächlich möglich, dachte sie. Uzdy verzichtete neuerdings darauf, sie zu tyrannisieren. Während der Zeit der Krankenpflege hatte er sie beinahe gemieden. Dies jedoch bewies noch nichts. Ähnliches hatte es in ihrem Eheleben schon manchmal gegeben. Uzdy war immer unberechenbar. Doch gab es eine Frage, die ins Gewicht fiel und die sich in ihrem Geist gleich wieder meldete: Was sollte mit ihrer Tochter geschehen? Sie würde sie nicht zurücklassen, nicht opfern können. Sie durfte nicht bei »denen« bleiben, wie sie ihren Mann und die Schwiegermutter mit einem einzigen Wort zu bezeichnen pflegte. Sie würden sie ganz zugrunde richten. Sie vergegenwärtigte sich, wie seltsam verschlossen, zurückhaltend und wortkarg das Kind bereits war. Sie machte für all dies die frostige Strenge ihrer Schwiegermutter verantwortlich und fühlte die Pflicht, die Kleine zu befreien. Doch ob ihr das gelänge? Angenommen, Uzdy akzeptierte die Scheidung, so würde er doch alles ins Werk setzen, um sie zu bestrafen. Die alte Frau wird verbissen dafür kämpfen, die Enkelin für sich zu behalten, und kein Zweifel: Das einzige Wesen, dem Uzdy einigermaßen Gehör schenkt, ist seine Mutter. Da ergibt sich also ein weiteres Hindernis schrecklicher Art. Nach dem Kampf, den Adrienne nun während mehrerer Monate um das Kind geführt hatte, kam es ihr beschämend
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