Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)
vor, einfach zu verzichten.
All dies ging ihr in Blitzeseile durch den Sinn, doch sie führte den Gedanken nicht aus, sondern sagte nur so viel: »Und das Kind? Was sollte mit ihm geschehen?«
Die Frage überraschte Bálint. Sie hatten bisher Addys Tochter unter sich kaum je erwähnt, und wenn die Frau manchmal doch über sie sprach, gab sie stets zu verstehen, man habe ihr das Kind weggenommen, es gehöre ihr schon längst nicht mehr. Er hatte nie bedacht, dass es eine Rolle spielen könnte. »Du bringst es natürlich mit!«, antwortete er leichthin, obwohl ihm gleich einfiel, dass das fremde Kind den Widerstand seiner Mutter verschärfen würde.
»Denn ohne meine Tochter täte ich es nicht … Nein, ich brächte es nicht über mich …« Und die Frau sah ihn zum ersten Mal nicht an, sondern blickte an ihm vorbei in die Ferne, in die Dunkelheit. Unerträglich, dass ihre Gedanken wegglitten! Die Umarmung des Mannes wurde enger. Sein Mund begann an den Wangen, dem Hals, den Schultern der Frau zu wandern. Betörende, zielbewusste Küsse. Als loderten hinter ihnen Flammen auf. Tausendfache Kräfte, in deren Rausch alles andere in dieser Welt, Sorgen und Kummer, Einwände und Vernunft erstarben.
Adriennes Worte lösten einen Gedankengang aus, Vorstellungen, die in dem Mann bisher unbewusst geschlummert hatten. In seiner langen Einsamkeit waren sie manchmal, doch nur ungewiss aufgetaucht. Jetzt lag er auf dem Rücken, das Gesicht vom dichten, schwarzen Haar der Frau bedeckt, und plötzlich ertönte Bálints Stimme unter dem Dickicht der gewellten Locken: »Du hättest einen Sohn von mir, und er wäre schön … ein Kind der Liebe … er würde deine Elfenbeinhaut erben und meine Stirn … deine gelben Augen und mein Haar … und … und er trüge weiter, was wir empfinden … das, woran wir glauben …«
Er sagte es sehr leise. Jedes Mal, wenn er in den fragmentarischen Sätzen innehielt, spürte er, wie die Hände der Frau ihn an der Schulter packten. Die Hände kündeten von Einverständnis, sie sprachen klarer als jede andere Antwort; es war die hingerissene Sprache der gemeinsamen Sehnsucht. Und als er zuletzt verstummte, glitten die nackten Arme der Frau um seinen Hals, sie umklammerte seinen ganzen Leib, und ihr Mund suchte zwischen den aufgelösten, sich schlängelnden Haaren seinen Mund. Ein langer Kuss besiegelte wortlos das Versprechen. Es war ein Gelübde, ein Vertrag.
Der Morgen dämmerte. Bálint trat zur Glastür des Salons hinaus. Nach dem schmalen Streifen des hinteren Villengartens folgte das niedrige Lattentor am Steg über den Szamos-Graben. Bis zu dieser Stelle musste er darauf achten, hinter sich keine Fußspuren zurückzulassen. Zum Glück war dies die Nordseite; der alte Schnee, zu hartem Eis gefroren, bedeckte im Schatten des Hauses den Boden. Er gab unter dem Gewicht eines Mannes nicht nach. Erst unter der Eisdecke taute es glucksend. Mit einem großen letzten Schritt erreichte er den Lagerbalken des Brückchens. Nun blickte er zurück. Tatsächlich zeichnete sich keine Spur ab. Jenseits des Grabens führte ein aufgeweichter Weg am Wasser entlang. Zwar trug er Schneeschuhe, doch er empfand keine Lust, im schlammigen Kot zu stapfen, und so bog er in Richtung der Promenade ab. Dies bedeutete zwar einen weiten Umweg, und es nieselte auch, aber das tat ja nichts. Es war schön, so beim Tagesanbruch zu marschieren. Hoffnung erfüllte sein Herz, und selbst die noch schlafende Natur schien dasselbe zu empfinden wie er selber: den nahenden Frühling.
Auch die Luft war, seiner Seele gleich, voller Versprechen. Adrienne hatte, als sie sich im von schwerem Duft erfüllten Schlafgemach verabschiedeten, nur gesagt: »Ich will es versuchen …« So schieden sie. Sie wolle versuchen, die Scheidung zur Sprache zu bringen. Gewiss gelingt es, dachte Bálint. Es wird, es muss gelingen. Adrienne und ihr Mann führten beinahe kein Eheleben mehr. Warum sollte sich Uzdy so sehr an sie klammern? Vielleicht bildet sich Adrienne nur ein, er würde sie um keinen Preis entlassen. Und am Ende gibt es auch Gesetze … In der morgendlichen Dämmerung tat es wohl, durch den menschenleeren Park zu schreiten und die Hoffnung frei und tief einzuatmen. Die violette Bewegungslosigkeit riesiger Bäume umgab ihn. Hier und dort trug ein Schneeflecken zur Buntheit des trockenen Laubs bei, unsichtbare, winzige Rinnsale flossen überall, netzten, lockerten und erweichten die Erde, damit hundert Millionen Grashalme, Bärenklau und
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