Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)
schluchzte unaufhörlich und bemerkte nicht, dass eine der Haushälterinnen zur Tür hereingespäht, sich aber gleich erschreckt zurückgezogen hatte. Von nichts wusste sie außer ihrem schweren Unglück. Schließlich sammelte sie sich. Sie trocknete sich die Augen und strich sich die Haare glatt. Sie richtete sich auf. So verließ sie den Salon, ging hinüber ins Vorzimmer, und in ihrer Alltagsstimme gab sie dem herbeigeläuteten Diener den Befehl: »Man kann die Lichter löschen.«
Wer von nichts wusste und einzig gesehen hätte, wie sie in ihren Wohntrakt hinüberschritt, hätte nicht geglaubt, welche Erschütterung sie soeben durchlebt hatte.
Mutter und Sohn trafen am nächsten Tag erst beim Mittagessen wieder zusammen. Bálint küsste ihr diesmal zeremonieller die Hand, und später, als sie allein blieben, suchte er das Thema seiner Heirat abermals anzuschneiden. Doch kaum hatte er die wohlvorbereiteten, während der halben Nacht lang zurechtgelegten Sätze herzusagen begonnen, fiel ihm die Mutter ins Wort.
Sie sprach in ruhigem, doch unerbittlichem Ton: »Ich will davon nichts mehr hören. An dem, was ich gesagt habe, ändert sich nichts. Eines nur füge ich hinzu: Wenn du jene, die du erwähnt hast, tatsächlich heiratest, dann kennen wir uns nicht mehr. Solange diese … diese unheilvolle Sache nicht Wirklichkeit wird, bleibt bis zur letzten Minute alles so, wie es ist: Was mir gehört, gehört auch dir. Doch unser Leben würde unerträglich, solltest du das nochmals zur Sprache bringen. Halte dich also daran.«
Und um ihm das Wort zu jeder Antwort abzuschneiden, fügte sie sogleich in unbeschwertem Ton hinzu: »Ich gehe jetzt hinunter zur Stute. Hollós Fohlen, das Arme, ist von einer Wespe gestochen worden – genau an der Nase. Komm mit. Wahrscheinlich gibt es im Rasen irgendwo ein Wespennest. Wenn wir es fänden, könnte man es ausräuchern.«
Auf solche Weise blieb scheinbar alles beim Alten. Bálint und Frau Abády unternahmen gemeinsame Spaziergänge, schmiedeten Pläne für Blumenbeete und Ziersträucher, für eine Gartenbrücke, die, da sie morsch geworden war, neu gebaut werden sollte, für Pferde, die für die herbstlichen Parforcejagden vorzubereiten waren. Sie sprachen über Damhirsche, Hasen, Fasane und tausenderlei Dinge, die mit Dénestornya zu tun hatten. All dies beschränkte sich aber auf Äußerlichkeiten. Waren sie beisammen, lag versteckt stets jene eine Frage zwischen ihnen: Bálints Heiratsabsicht.
Und ihre Reden waren gekünstelt, sie schützten Unbesorgtheit vor. Einige Tage vergingen auf diese Weise. Einige schwere, für sie beide schmerzliche Tage. Auch Bálint litt ja darunter, seine Mutter leiden zu sehen. Er beschloss zu verreisen. Es wäre wohl besser, weit weg zu sein; vielleicht würden sie die schreckliche Szene, den ersten Zusammenstoß in ihrem Leben, vergessen können.
Als er sein Vorhaben anmeldete, fragte die Mutter, anders als sonst, nicht danach, wohin er fahre. Sie sagte nur so viel: »Es ist gut!« Sonst nichts. Offensichtlich war sie ganz überzeugt, er wolle zu der Frau, die sie hasste. Sie war davon nicht abzubringen, obwohl Bálint ihr wortreich auseinandersetzte, dass er auf dem kürzesten Weg nach Budapest verreise, dass die Sitzungen im Abgeordnetenhaus und die Sache der Genossenschaften, die Wahlrechtsreform und die Krise in der Türkei als äußerst wichtige Angelegenheiten seine Anwesenheit in der Hauptstadt erforderten. Sie quittierte seine Aufzählungen immer nur mit der Bemerkung »Es ist gut«, als wolle sie seine Lage erleichtern, indem sie ihm zu verstehen gab, dass er sich die Lügengeschichten ersparen könne. Dabei entsprach doch alles der Wahrheit, und Abády besuchte diesmal Adrienne gar nicht.
Die Mutter jedoch schenkte ihm keinen Glauben. Das Vertrauen zwischen ihnen war erschüttert. Worte vermochten es nicht wiederherzustellen. Bálint machte sich betrübt auf den Weg. Als die Kutsche aus dem hufeisernen Hof hinauskurvte, blickte er noch einmal zurück. Die Mutter pflegte, wenn sie ihn nicht zur Bahn begleitete, zumindest vom Balkon zum Abschied zu winken. Nun stand niemand dort. Vielleicht, dachte er, sitzt sie im kleinen Salon und weint. Vielleicht ist sie deshalb nicht erschienen. Und das Herz des Sohnes verkrampfte sich.
IV.
An einem Dienstag im September versammelte sich das Volk in Szamosujvár zu einem landesweit bekannten Markt. Dies galt für jedermann als ein bedeutendes Ereignis, zumal im September, weil die
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