Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)
anderer ihr Interesse geweckt; Frauen, die möglicherweise einen Geliebten hatten, hielt sie für andersartig, als bildeten sie eine dritte Spielart des Menschengeschlechts. Sie verurteilte sie nicht, sah in ihnen bloß eine abweichende Art. Zu ihrem Selbstgefühl als kleine Herrscherin hätte es auch nicht gepasst, sich dem Urteil der Masse anzuschließen, welche Dinóra damals ausgestoßen hatte. Das freilich genügte noch nicht, um sie ins eigene Haus einzuladen.
Sie hegte andere Pläne. Seit jenem Morgen im März, an dem man Bálint in der Frühe mit Adriennes Brief behelligt hatte, war sie im Glauben, ihr Sohn habe mit dieser Frau gebrochen, die sie hasste und derentwegen sie sich um Bálint ängstigte. In letzter Zeit aber waren von ihr in kurzen Abständen drei Briefe gekommen. Frau Abády verteilte den Leuten im Haus die Post immer eigenhändig, und sie kannte Adriennes Handschrift wohl. Sie erschrak. Vielleicht bettelt sich die verdammte Frau in seine Gunst wieder zurück, dachte sie und grübelte, wie sich das verhindern ließe. Da fiel ihr Dinóra ein. Sie wohnte in der Nachbarschaft, und es hieß, sie sei unlängst heimgekehrt. Dinóra, welche Bálint einst als Jusstudent – manchmal auch nachts zu Pferd durch die Furt des Aranyos – zu besuchen pflegte. Das war’s! Der Sohn soll sich mit ihr amüsieren, Mannsbilder sind nun einmal so, sie brauchen Frauen zum Amüsement. Dies allerdings hatte sie nicht so klar überlegt, bloß auf eine ungewiss tastende Weise erwogen, und doch spielte ein verschmitztes Lächeln um ihre Lippen, als sie tags zuvor die Einladung durch einen Pferdeburschen überbringen ließ.
Bálint fand die Gäste auf der unteren Terrasse vor, wo man im Sommer die Nachmittagsjause einzunehmen pflegte. Eine gewaltige Aussicht eröffnete sich von hier auf eine von Pappeln umrahmte Wiese, die sich über anderthalb Kilometer hinzog. Die Mutter war auch schon da, und der Butler deckte eben den Tisch.
»Nicht wahr, Tante Róza«, sagte Dinóra soeben, »Sie verzeihen, dass ich Zsigmond Boros mitgebracht habe? Ich halte zurzeit kein Gespann, anders als zur Zeit Tihamérs … damals hatten wir russische Traber, nicht wahr? Aber Zsig … Dr. Boros meint, das brauche es nicht, das sei Luxus. Wozu, tatsächlich? Denn er hatte die Freundlichkeit, die Erledigung meiner laufenden Angelegenheiten zu übernehmen. Und er war gerade bei mir, und da er ein Auto hat, so dachte ich, es würde wohl nichts ausmachen …«
Frau Róza antwortete leicht frostig: »Im Gegenteil, ich freue mich sehr …«
Doch Dinóra, die Bálint erblickt hatte, war schon aufgesprungen: »BA! Oh, wie es mich freut, Sie zu sehen! Zsiga Boros kennen Sie wohl, nicht wahr? Aber natürlich, als Abgeordneter ist er ja Ihr Kollege … Wann sind Sie angekommen? Wie geht es Ihnen?«
Nach den Begrüßungen sprachen sie der Jause zu. Es gab, wie es in Siebenbürgen Sitte ist, Unmengen von kaltem Fleisch und vielerlei Gebäck, das die Haushälterinnen in Abständen warm auftischten, ferner servierten sie Honig, Butter, frische Erdbeeren, Tee und kalten Kaffee mit Schlagobers.
Boros hatte seinen schönen Bariton zur Stelle. Mit melodischen Worten lobte er den Park, die Bäume, die Blumenbeete in der Nähe, die weite Aussicht, den hufeisenförmigen Hof, wo sie angekommen waren, und die Halle, die sie durchquert hatten. Stück für Stück eroberte er damit Frau Abádys Herz.
In der ersten Minute hatte sie Boros unsympathisch gefunden. Dass er sich als Provinzanwalt so gewählt kleidete, seinen spatenförmigen Bart offensichtlich mit einem heißen Glatteisen flachgestrichen hatte, an seinen Fingern eine Unmenge von Ringen trug und nach Parfüm roch, all dies machte auf sie einen sonderbaren Eindruck – als wäre mit diesem übertrieben eleganten Mann etwas nicht in Ordnung. Als aber Boros zuletzt erklärte, dass Dénestornya ihn an Schloss Chambord im Loire-Tal erinnere, da schwand Frau Rózas Frostigkeit vollends, galt doch ihre Liebe außer dem Sohn einzig ihrer tatsächlich wunderbaren Heimstätte. Am Ende des Mahls anerbot sie sich selber, ihm die oberen Gemächer zu zeigen, während Dinóra und Bálint spazieren gingen.
Sie schritten durch die große Lindenallee, als Bálint fragte: »Und wie leben Sie, liebste Dinóra? Ich nahm mir oft vor, Sie zu besuchen, aber es ergab sich stets, dass Sie abwesend waren.«
»Lieb von Ihnen, BA. Wissen Sie, so allein auf dem Land ist es unangenehm. Und dann kamen laufend Briefe, man wollte bei
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