Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)
Ferkel, an deren Hinterbein man eine Schnur gebunden hatte, um sie hinter sich herzuziehen, die man aber auch zu dritt kaum vorwärts brachte. Im Labyrinth der Menge und der vielen Buden gelangte sie endlich zum Grünen Baum. Sie ging durch das Tor. Tische füllten den Hof aus, unzählige Gäste drängten sich. Und Zigeunermusik natürlich. Es ging hoch her, denn heute hatten alle gute Geschäfte gemacht. Sie ließen also die Zigeuner aufspielen und sprachen den Getränken zu. Die Kellner kamen kaum nach, wie sie Speisen, Bierkrüge, Wein und nochmals Wein auftrugen.
Frau Lázár musterte die Menge. Zuletzt entdeckte sie den Gesuchten. An einem großen Tisch, unweit der Zigeunerkapelle, stützte er den Kopf auf die Ellbogen. Einige Augenblicke zögerte sie, ob sie ihm die Belohnung doch nicht eher mit der Post schicken sollte. Nun, es ist besser, solche Dinge gleich zu erledigen. So ging sie auf ihn zu. Bald stand sie bei ihm, denn manche waren zwar bereits berauscht, sie öffneten ihr aber eine Gasse, da fast alle diese schöne, hochgewachsene, braune Frau kannten, von der sie etliche Male Geschäftsaufträge entgegengenommen hatten.
Auch der gesuchte Agent erblickte sie nun. Er sprang vom Tisch auf und ging ihr entgegen. So, ihr gegenüberstehend, übernahm er den Umschlag, in welchem die ihm zustehende Belohnung steckte. Inmitten des großen Lärms wechselten sie einige Worte.
»Woher kommt es«, fragte Frau Sára, »dass die Preise so gut ausgefallen sind? So ganz unerwartet.«
»Ein Gerücht geht um«, antwortete der Mann, »wonach die Armee aufkaufen lässt. Dafür spricht auch, dass die Remont-Kommission da war und viele Pferde erworben hat. Ich weiß es natürlich nicht, aber es könnte sein, dass dies mit den Dingen in der Türkei zu tun hat.«
»Wegen der türkischen Revolution? Tatsächlich?«
»So sagt man …«
Schallendes Gelächter unterbrach nun ihre Unterhaltung. Das stürmisch vergnügte Wiehern kam aus der Richtung der Zigeunerkapelle. Frau Lázár blickte hin.
Ein junger Mann von mittlerem Wuchs spielte die Violine anstelle des Primas. Er hatte einen stark fadenscheinigen und zerknitterten, aber vorzüglich geschnittenen Anzug an und auf dem Kopf eine Kupferpfanne, die ihm jemand als Hut aufgesetzt hatte. Auch die Musik trug er äußerst merkwürdig vor. Er machte allerlei Witze, ging in die Hocke, tanzte, schnellte hoch, machte torkelnd kleine Schritte wie ein Musikclown – offenkundig war er sehr betrunken –, doch trotzdem spielte er das scherzhafte Lied in seinem keck hin und her springenden Rhythmus fehlerfrei. »Die drei Töchter der Frau Csicsó …« Dazu schrie er den Text und reicherte ihn mit vielen schweinischen Worten an. Manchmal quietschte oder rülpste die Geige, was die Obszönität erst noch unterstrich.
Es war László Gyerőffy.
Er trug eine seiner alten Nummern in arg verunstalteter Form vor. Mit Stücken dieser Art hatte er einst während herrschaftlicher Vergnügungen bei Zigeunermusik oder in den Salons für Unterhaltung gesorgt – freilich nicht mit solch unanständigem Text wie jetzt. Hier aber brauchte man es so, es passte am besten zu seinem höhnisch gestimmten Gemüt und zum Publikum, für das er Musik machte und das ihm den Wein bezahlte. War er betrunken, dann konnte man mit ihm anstellen, was den Leuten beliebte. Den Kupferkessel auf dem Kopf spürte er nicht einmal, ebenso wenig, dass man ihm hinten eine Serviette in die Jacke gesteckt hatte.
Er trat mit dieser Produktion nicht zum ersten Mal auf. Im Sommer hatte er die Gaststätte schon mehrmals besucht, und da ihm das wenige Geld, das er besaß, bald schon ausging, musizierte er in dieser und jener Schenke, wo man seinen Wein berappte. Manchmal lehnte er sich auf, wenn man sich ihm gegenüber allzu dicke Scherze erlaubte. In solchen Momenten konnte er auch grob werden. Allmählich gewöhnte er sich aber daran, dass man über ihn lachte. Nun suchte er schon den Lacherfolg. Es bereitete ihm eine bittere Genugtuung, so tief gesunken zu sein, als verspotte er sich selber in seiner Verkommenheit. Hatte er sich früher in Gesellschaft seiner Kameraden betrunken, dann war bei ihm jäh eine unerwartete Neigung zur Überhebung zum Vorschein gekommen. Dieser Zug hatte sich hier unter den Unbekannten gewandelt, unter Leuten, die mit ihm herrisch umsprangen. Er sah sich in der Rolle des verwunschenen Prinzen, der aus freien Stücken das Schicksal eines Sklaven auf sich genommen hat und sich im Dreck wälzt.
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