Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)
aus dem anderen Zimmer herübergebrachten Geschäftsbücher geprüft. Der Kassier hatte die dicken Bände bereits wieder auf ihren Platz zurückgestellt, sie setzten aber noch während einiger Minuten das Gespräch fort. Es war erst elf Uhr. Bálint wollte gerade zu seinem Absteigequartier in dem großspurig »Grandhotel« genannten Gasthaus aufbrechen, wo bestimmt eine große Menge ihren Abgeordneten erwarten würde, als eine jüngere Frau zur Tür des Vorbaus hereinschlüpfte. Sie hatte etwas Furchtsames an sich. Auf der Schwelle blickte sie noch einmal zurück, bevor sie die Tür hinter sich zuzog. Dann trat sie eilig an den Tisch.
»Ich bin die verwitwete Frau Olajos«, haspelte sie, »die Schwester des Notars Kovács. Ich bin hergekommen, um … Ich will nicht, dass mein Bruder es weiß … Er hat es mir verboten, aber ich dachte, dass ich doch … Im Gasthaus erwarten viele Leute den Herrn Grafen … die würden über mich schwatzen …«
Sie setzte sich und trug dann ihre Geschichte ziemlich verworren vor. Sie war die zweite Frau von Viktor Olajos gewesen. Von der ersten Frau gab es einen Sohn. Dieser Junge war zwei Jahre alt, als sie – drei Jahre war es nun her – seinen Vater geheiratet hatte. Jetzt aber war der Mann gestorben, ohne irgendetwas zu hinterlassen. An Erbschaft gab es auch für den Jungen nichts. Dabei musste er ein Vermögen besitzen, und zwar in Dollars aus Amerika, aber dieses Geld fand sich nirgends. Ungerecht sei das! Sie wie ihr Stiefsohn hätten nun kein Dach mehr über dem Kopf, sie stünden auf der Straße, wenn sie nicht von ihrem Bruder, Dániel Kovács, aufgenommen worden wären. Dabei habe auch er kaum ein Auskommen, auch er müsse seine halbwüchsigen Kinder kleiden und für die Schule sorgen. Sie schäme sich, so auf Gnadenbrot angewiesen … und das Geld des Stiefsohns müsse irgendwo vorhanden sein … vielleicht beim Waisenamt … oder irgendwo … Sie sei also gekommen, um das zu erzählen. Der Herr Graf könnte vielleicht helfen … Sie bitte ihn zu helfen …
Bálint wollte sich nach den Einzelheiten erkundigen, aber Áron Kozma gab ihm einen Wink: Er werde alles erklären. Sie entließen also Frau Olajos, die, wie es schien, ohnehin sehr nervös war und immer wieder auf die Tür blickte, ob nicht jemand hereinkommen und sie hier überraschen würde.
»Diese Geschichte«, sagte Áron, »ist ganz hoffnungslos. Zur Hauptsache hat sie sich in unserer Nachbarschaft abgespielt, ich kenne sie folglich gut. Viktor Olajos war ein rastloser, stets auf Geschäfte sinnender Schlaumeier. Er hatte ursprünglich vielleicht ein bescheidenes Vermögen, aber bei Leuten dieser Art weiß man nie, was sie wirklich besitzen. Der Bruder seiner ersten Frau war nach Amerika ausgewandert, und als der Junge auf die Welt kam und die Frau im Kinderbett verstarb, schickte der Bruder aus Amerika zehntausend Dollar über das Waisenamt, und zwar mit der Auflage, die Summe unter dem Namen des zurückgebliebenen Kindes in Immobilien zu investieren. Vielleicht war ihm sein Schwager nur allzu bekannt, und er suchte die Zukunft des Buben zu sichern. Ich kann mich gut erinnern, welch ein Aufsehen dies damals erregte, es handelt sich ja um eine beträchtliche Summe. Bald darauf hieß es dann, der Vater habe für den Sohn in Körtekapu ein großes Stück Land, freilich von schlechter Qualität, gekauft und dazu am gleichen Ort eine baufällige Dampfmühle. Ich kenne mich da gut aus, es ist ja alles in unserer Nachbarschaft. Wir wunderten uns damals schon, dass man für einen Minderjährigen so schäbige Dinge erworben habe. Erst recht wunderten wir uns aber jetzt, als sich nach dem Tod von Olajos herausstellte, dass er als Vater und natürlicher Vormund diesen Besitz gegenüber dem Waisenamt als den vollständigen Gegenwert der aus Amerika geschickten Summe verrechnet hatte und dass ihm vom Waisenamt auf diese Objekte, die nicht einmal zwanzigtausend Kronen wert sind, die ganze Summe, mehr fünfzigtausend Kronen, ausbezahlt worden war. Hinzu kam noch, dass Olajos nicht einmal die Schulden getilgt hatte, mit welchen die Immobilien schon beim Kauf belastet waren. Nach seinem Tod wurde deswegen das Ganze versteigert. Auf solche Weise sind sowohl sein Sohn als auch seine Witwe an den Bettelstab gebracht worden, denn Olajos hat nichts hinterlassen. Kein Zweifel, dass das Waisenamt schon beim Kauf und auch hernach sehr unsorgfältig vorgegangen ist. Schwer verständlich, wie Olajos, ohnehin von ziemlich
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