Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)
besondere Schwierigkeit zu bewältigen sein, wie immer sich die Verhältnisse auch gestalteten, welche Reibungen auch entstehen würden. »Dies umso eher, als wir gegebenenfalls stark genug sind, die militärischen Aufgaben zu lösen, die sich im Augenblick stellen könnten …«
Er sprach weiter, als wolle er, im Inneren tief besorgt, für sich selbst die Rede skizzieren, die er später im Oberhaus halten sollte. Mit stahlhart formulierten Sätzen suchte er ein Bild der außenpolitischen Lage zu entwerfen, deren Bedeutung und die künftigen Lehren daraus zu beleuchten.
»Von der Notwendigkeit der Annexion bin ich überzeugt … und ich bin bereit, ihre Konsequenzen zu tragen«, antwortete er auf Kadacsays letzte Frage.
»Man darf sich nicht einmal auf eine Diskussion darüber einlassen«, sagte er, »ob das Außenministerium und die ungarische Regierung bei der Durchführung der Aktion und beim Glätten der hervorgerufenen Wellen die nötige Sorgfalt bewiesen habe.« Er selber lasse sich auf eine Auseinandersetzung um diese Frage nicht ein und wolle auch andere davor warnen. Jeder Patriot habe nun die Pflicht, zur Steigerung des moralischen Gewichts der Monarchie Solidarität zu bezeugen, wie sie im Falle von außenpolitischen Gefahren oder auch nur von Verwicklungen bei jeder gesund denkenden Nation zum Vorschein kommen müsse. Im Kreis der Großmächte herrsche Empörung, die zur Angelegenheit in keinem Verhältnis stehe. »Man hat sich gegen uns«, so sagte er, »in ein Empörungsabenteuer gestürzt.« Namentlich das, was die Engländer vorbrächten, sei ganz unredlich; sie stellten die Lage so dar, als wolle die Monarchie der Verfassungsmäßigkeit in der Türkei hinterrücks einen Dolchstoß versetzen. England verfahre jetzt mit den Türken auf gleiche Art wie mit den Polen Anfang der sechziger Jahre und mit den Dänen in der Schleswig-Holstein-Frage; es peitsche die Leidenschaften hoch, erwecke Hoffnungen und lasse dann die Hingehaltenen auf halbem Weg im Stich. Kein Zweifel aber, die letzte, fünfzehn Jahre währende Friedensperiode auf dem Balkan sei zu Ende, und wir hätten mit der ersten neuen, akuten Phase der orientalischen Frage zu tun. Wir müssten daraus manche Lehre ziehen. Auf dem Balkan herrscht nun zunehmend dicke Luft, und das verlangt von uns mehr an Wachsamkeit und Opfern.
»Ebenso hat die Regierung richtig agiert, indem sie beim Handelsvertrag mit Serbien bis zur äußersten Grenze gegangen ist. Diese Linie muss man weiterhin verfolgen, um die benachbarten Kleinstaaten durch Entgegenkommen an uns zu binden.« Ob wir den Vertrag aufrechterhalten könnten, das freilich hänge von Serbiens Verhalten ab.
Unsere Politik, sagte Tisza, könne von der bisherigen auch künftig nicht abweichen: Es gelte, die freie und friedliche Entwicklung der Balkanvölker zu schützen. Dies bedeute so viel, dass man Vorgängen und Bestrebungen wehre, »die darauf ausgerichtet sind, die unabhängige und gewaltlose Entfaltung dieser Völker der Macht oder der Hegemonie eines aggressiven, mit Eroberungsabsichten auftretenden Konglomerats zu unterstellen«.
Bálint blickte bei diesen Worten zu Tisza empor. Wie interessante, wie großangelegte Gedanken! Und der letzte Satz! Ihm schien, er beziehe sich nicht nur auf die russischen Absichten, sondern enthalte eine Antwort auch auf das Programm, das ein Jahr zuvor Slawata ihm gegenüber erläutert hatte und das als letztes Ziel den Trialismus sowie die Einsetzung von Habsburger-Königen und die Ausdehnung des Hauses Österreich bis zur griechischen Meeresküste vorsah.
Tisza sprach weiter, im langsamen Takt der im Schritt gehenden Pferde. Seine Stimme klang nun noch ernsthafter, tiefer, wie von innerer Besorgnis gefärbt. Prophetische Worte folgten:
»Starke Antipathien regen sich gegen uns, und es gibt in Europa gewaltige Machtfaktoren, nach deren Urteil sich die gegenwärtige Lage zwar noch nicht dazu eignet, die uns gegenüber bestehende Feindseligkeit bis zu einem allgemeinen Brand anzufachen, die aber dafür sorgen, dass die Abneigung bestehen bleibt und bei passender Gelegenheit gegen die Monarchie ausgespielt werden kann.« Und nun reihte er Sätze aneinander, wie sie seine politischen Widersacher, die in ihm den Erbfeind all ihres Strebens sahen, kaum für möglich gehalten und geglaubt hätten:
»In unserer Militärpolitik müssen wir ein Vorgehen wählen, das in uns selber das zuversichtliche Gefühl der eigenen Kraft weckt, diesen Eindruck aber auch
Weitere Kostenlose Bücher