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Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Titel: Verschwundene Schätze: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
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sprechen vermochte, da ihr die Worte in der Kehle steckenblieben.
    Frau Uzdy indessen hörte ihrer Rede ohnehin nicht zu, sondern unterbrach sie gleich: »Das ist meine Sache! Und ich werde Ihnen nicht mitteilen, was ich tue. Gerade Ihnen!«, keuchte sie mit unterdrücktem Hass.
    Adrienne kam es vor, als habe man ihr mit der Faust einen Schlag ins Gesicht versetzt. Ihr Mitleid schwand. Auch ihr Hass erwachte. Doch schon bevor sie zur Antwort hätte ausholen können, wurden ihr neue Worte entgegengeschleudert.
    »Ihnen, die daran schuld ist, dass wir so weit gekommen sind! Ihnen, die Sie einen Fluch über unser Haus gebracht und meinen Sohn vergiftet haben! Jawohl, Sie haben ihn mit Ihrer mädchenhaften Haut vergiftet, ja, Sie! Von der ersten Minute an wusste ich, dass es so kommen würde! Gehen Sie! Gehen Sie hinaus! So gehen Sie endlich!«
    All dies sprach sie unbeweglich, mit zischenden dünnen Lippen, nur ihre Augen blitzten wie die einer Besessenen. Da gab es nichts zu bereden. Die Mutter war womöglich kränker als der Sohn. Adrienne zuckte die Achseln, ihr Zorn verrauchte. Sie ging hinaus ins Freie. Vor dem Haus blieb sie stehen.
    Der Hang, der sich hinter dem runden Rasenplatz in die Höhe türmte, lag dunkel da; der Wald darauf schien sich ihr zu nähern, die Wellen der Laubbäume streckten sich nach oben und verschlossen den Himmel. Als versperrten sie vor ihr den Zugang zur ganzen Welt. Auf ewig angekettet, so saß sie in diesem furchtbaren Gefängnis.

    Doch dieses hoffnungslose Bild erfuhr noch am gleichen Abend eine Änderung. Adrienne war zuvor niemandem mehr begegnet. Doch hatte sie, zusammen mit ihrer immer noch stummen Schwiegermutter, zur Nachtessenszeit im Salon kaum einige Minuten gewartet, als sich die Tür öffnete und Uzdy gutgelaunt hereintrat.
    »Na! Dich habe ich schön erschreckt, was?«, rief er lachend seiner Mutter zu. »Nicht wahr, ich habe es gut gemacht? Du hast gemeint, ich sei wahnsinnig geworden. Ha, ha! Ein toller Scherz! Großartig, was für ein Schauspieler ich wäre, was? Wie Talma, wahrhaftig wie Talma!« Streichelnd nahm er ihre Hand unter den eigenen Arm und führte sie hinüber ins Esszimmer. Auch hier machte er heiter und unbeschwert Konversation. Jetzt wirkte er beinahe kindlich. Der Eindruck, den er hinterließ, erinnerte an seine besten Tage oder war sogar noch angenehmer. So blieb er auch weiterhin, als suche er Verzeihung für die fürchterliche Szene von zuvor.
    Wie genau ihn Adrienne in der Folge auch beobachtete, sie entdeckte an ihm nichts Außergewöhnliches mehr. Jedes unheilvolle Symptom war auf einmal verschwunden. Ganz selten nur flackerte in seinen Augen ein böses Licht, es erlosch aber alsbald. Wäre es wirklich möglich, dass sich seine Aufregung gelegt, dass er sich ausgetobt hätte? Dass die Krise durch den letzten Wutanfall überwunden worden war? Der sächsische Arzt hatte etwas Derartiges erwähnt: »Perioden der Erregung und der Ruhe lösen sich ab …«
    Und da sie hieran glauben wollte, brachte sie sich allmählich auch dazu, dieser Ansicht Glauben zu schenken.
    Bálints Briefe peinigten sie umso stärker. Solange der Kummer bleiern auf ihrem Sinn lastete, las sie die Schreiben mit hoffnungslosem Schmerz. Doch nun schien sich die Möglichkeit, der Zugang zur Freiheit für sie zu öffnen. Die Briefe aber kamen, lange, sehr lange Briefe voller Verlangen und Liebe, ein jeder schien ihr die Hand zu verbrennen, qualvoll marternde Botschaften, denn selbst wenn es darin nicht geschrieben stand, so loderte doch in jedem Wort die Anklage, wie viel er ihretwegen aufgeopfert habe.
    So rang sich dann Adrienne eines Tages zur Entscheidung durch. Es fiel ihr nicht leicht. Sie grübelte lange, ob sie mit ihrer Abreise nicht einen erneuten Anfall hervorrufen werde. Ob ihr Mann nicht eben deswegen dem Wahnsinn verfallen könnte. Denn in diesem Fall hätte sie alles vergeblich unternommen, sie wäre für immer an ihn gekettet. Sollte sie also nicht zuwarten? Den Arzt herbeirufen, damit er die Entscheidung traf? In völliger Sicherheit handeln? Doch dazu war sie nicht imstande.
    Sie wurde erwartet. Das Leben, die Zukunft warteten auf sie. Der Erbe wartete, dem sie das Leben schenken sollte. Es wartete alles, woran sie mit ihrem ganzen Wesen hing.
    Dennoch wollte sie umsichtig vorgehen. Darum entsann sie sich Absolons. Der alte Asiate pflegte ein- bis zweimal im Jahr seine Schwester zu besuchen. Es fiele folglich nicht auf, wenn er jetzt unerwartet herkäme. Er war

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