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Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Titel: Verschwundene Schätze: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
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gegeben.
    Dieser aber gab zu einiger Besorgnis Anlass. Alles hatte langsam, kaum bemerkbar zu der Zeit begonnen, als die alte Gräfin aus Meran heimgekehrt war. Seitdem ärgerte Uzdy seine Mutter grundlos, aber offensichtlich mit Absicht. Er suchte die Gelegenheit, sie zurechtzuweisen. Manchmal geschah dies auch auf grobe Art. Adrienne hatte dies im Sommer noch gar nicht bemerkt; erst jetzt, da sie alles prüfend ins Auge fasste, stellte sie diesen Zug fest.
    Gewissheit gewann sie darüber, dass sich die fast instinktiven Anwandlungen steigerten. Das erste klare Zeichen hatte sich gezeigt, als das neue französische Fräulein ankam und von Frau Uzdy in der Rangordnung höher eingestuft wurde als die englische Nurse – eine Selbstverständlichkeit, da es sich bei der Französin um eine diplomierte Lehrerin handelte. Uzdy machte keine Einwände, doch mit bösartiger Schlauheit benutzte er jeden Vorwand, um die Gouvernante zu beschämen; in solchen Momenten pflegte er seinen Blick immer hämisch auf seine Mutter zu richten. Kleine Vorkommnisse folgten. Er forderte Rechenschaft von der Mutter, warum sie die Kutsche an diesen oder jenen Ort bestellt, warum sie einen Gärtner gegen einen anderen ausgetauscht und warum sie dem Pfarrer von Nagyalmás einen Korb Pflaumen geschickt habe. Er, der sich bisher um Einzelheiten des Haushalts nicht im Geringsten gekümmert hatte, prüfte jetzt fleißig alles nach, um es zur Sprache bringen zu können. Wenn er aber Vorhaltungen machte, verriet seine Stimme, dass er sich gerade noch zurückhielt, um einzig jenen spöttisch verletzenden Ton zu bewahren, den er neuerdings auch gegenüber der alten Frau anschlug, der aber, wenn er die Selbstbeherrschung verlor, in Zornesgeschrei überging.
    Adrienne lief es kalt über den Rücken, wenn sie bei solchen Szenen zugegen war. Woher dieser lauernde Hass? Woher diese niedergehaltene Wut, die so wirkte, als fordere Uzdy Rechenschaft für irgendein ihm widerfahrenes und verheimlichtes Unrecht? Warum diese Veränderung in der Behandlung der Mutter, mit der Uzdy doch während langer Jahre gegen sie, Adrienne, gemeinsam vorgegangen war? Warum dieses Benehmen dem einzigen Wesen gegenüber, dem er bisher in echter Liebe verbunden war?
    Und die alte Frau, warum duldete sie alles stumm? In frostig ruhigem Ton pflegte sie zu antworten, sie sagte gerade nur das Notwendigste. Ihre Miene blieb wie gewohnt unbeweglich, in Marmor erstarrt. Ihre glasigen Augen blickten nicht auf den Sohn, sondern hinter ihm in die Ferne, in weit entlegene Räume oder vielleicht Zeiten.

    Doch es gab hierin keine Stetigkeit. Manchmal verstrichen vier- bis fünfzehn Tage ohne besondere Vorkommnisse. Dann aber unterbrach jäh eine stürmische Szene die scheinbare Ruhe. Ein solcher Auftritt, der schlimmste, erschütterte Adrienne tief.
    Es geschah Mitte Oktober. Sie waren im großen, ovalen Salon, wie immer nach dem Mittagsmahl. Adrienne beschäftigte sich mit einer Handarbeit, und auf der anderen Seite des Tisches auf dem Kanapee saß die Schwiegermutter nach ihrer Gewohnheit in steifer Haltung, die Hände im Schoß. Uzdy ging auf und ab, vom Ofen bis zum Fenster und zurück. So spielte es sich immer ab, hierin glich jeder Tag dem anderen. Alle drei schwiegen. Auch dies entsprach der Gewohnheit. Stille herrschte im aschgrauen Zimmer, nur das Parkett knarrte leise unter den gemessenen Schritten des Mannes.
    Adrienne schaute nicht auf, nahm aber trotzdem wahr, dass Uzdy jedes Mal, wenn er an ihnen vorbeizog, der Mutter einen stechenden Blick zuwarf. So ging es lange, sehr lange. Die junge Frau spürte, dass etwas im Anzug war, etwas Fürchterliches, als balle sich die Luft unter dem Korbgewölbe zur Gewitterwolke. Die Alte mochte es auch spüren, ließ es aber in keiner Weise erkennen. Das hinter ihr einströmende Licht umfloss silbern ihre weiße Haarkrone. Ihr Gesicht lag ganz im Schatten.
    Als Pál Uzdy vielleicht schon zum hundertsten Mal aus der inneren Zimmerecke zurückkehrte, blieb er hinter dem Sessel seiner Frau stehen. Mit beiden Händen ergriff er die Rückenlehne. Ein inneres Zittern schüttelte seine Hände.
    »Darf ich fragen«, wandte er sich in schleppendem Ton an seine Mutter, »warum du mich ausspionieren lässt?«
    »Ich verstehe nicht, worüber du sprichst …«, antwortete die alte Frau.
    Uzdy lachte böse. Bedrohlich.
    »Tatsächlich? Du verstehst nicht? Nun, ich will es dir sagen. Ich habe schon lange bemerkt, dass unter meinem Fenster dunkle Gestalten

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