Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)
herumstreifen. Sie bleiben stehen, spähen, schleichen weiter, kehren wieder zurück …«
»Bestimmt handelt es sich um den Nachtwächter«, erwiderte Frau Uzdy kühl, »meines Wissens ist das seine Pflicht.«
»So? So? So? Der Nachtwächter? Wirklich? Wirklich?« Und Uzdy lehnte sich so weit vor, dass seine Brust Adriennes Haar streifte. »Nur der Nachtwächter?« Und jetzt schrie er plötzlich: »Das ist nicht wahr! Nein, das ist nicht wahr!«
Gräfin Clémence zuckte mit den Achseln, gab aber keine Antwort. Ihr Sohn dämpfte wieder den Ton.
»Ich bin letzte Nacht hinausgegangen und habe den Garten durchsucht. Ich habe sie gesehen! Verstehst du? Gesehen! Der Nachtwächter sei es, sagst du? Überall waren sie. Viele, viele. Hinter jedem Baum. Überall. Und sie flüsterten. Ich habe es gehört! Und sie versteckten sich, aber ich habe sie gesehen … und ich weiß!«
Wortlos durchmaß er jetzt das Zimmer. Schnell und aufgeregt. Seine Sohlen rutschten auf dem Parkett manchmal aus. Als er wieder beim Tisch ankam, begann er von neuem: »Ich weiß es, weiß es sehr gut! Du hast sie hinbeordert, damit sie mir nachspionieren. Jawohl! Und nimm dich in Acht! Ich weiß noch mehr, weiß, dass man mir allerlei Zeugs in meinen Wein und in meine Speisen mischt, ja, streite es nicht ab! Ich weiß es!«
Die alte Frau antwortete trocken: »Was sollte man hineinmischen? Wir drei essen und trinken dasselbe.«
»Schweig!«, brüllte jetzt Uzdy, und seine langen Arme sausten auf die Tischplatte nieder. »Schweig! Ich kenne dich! Und ich sage nur so viel: Nimm dich in Acht!« Nun richtete er sich auf. Seine dünne, schulterlose Gestalt reckte sich in die Höhe. Seine Fäuste irrten oben an seinen Windmühle-Armen herum. Seine Stimme überschlug sich, sie wurde zum schrillen, tierischen Geheul: »Nimm dich in Acht! Nimm dich in Acht!«
Dann drehte er sich auf den Absätzen, er glitt, wie von einer Feder geschleudert, zum Haupteingang, riss mit fuchtelnden Bewegungen die Tür auf und warf sie, nachdem er hinausgestürzt war, hinter sich dröhnend zu. Die zwei Frauen saßen während einiger Minuten erstarrt da. Dann stand die alte Gräfin Uzdy auf; erhobenen Hauptes und kalten Blicks, unter Wahrung ihrer ewigen Ruhe entfernte auch sie sich. Adrienne blieb allein.
Als sie sich von ihrer Bestürzung erholt hatte, galt ihr erster Gedanke der Schwiegermutter. Welch ein Schlag für ihren Dünkel! Zum ersten Mal im Leben empfand sie Mitleid mit der alten Frau. Schon seit ihrer Verlobung hatte sie stets zu ihren Feinden gezählt. Adriennes Teilnahme erwachte erst jetzt, im Augenblick der so verschiedenartigen und doch gemeinsamen Besorgnis. Ihre Natur, zum Handeln stets bereit, formte die Empfindung gleich zur Tat um.
Sie sprang auf, geleitet einzig vom Gedanken, ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Was sie nun machte, hatte sie, seitdem sie in Almáskő lebte, wohl nicht dreimal getan. Sie betrat das Zimmer der alten Dame. Im Raum war es dämmrig. Licht drang durch die geschlossenen Jalousien kaum herein. Verdutzt zögerte sie ein wenig. Das Zimmer schien leer zu sein. Sie sah sich um. Das gerahmte Christusbild rechter Hand hatte man umgedreht, gegen die Wand gelehnt und das ewige Licht darunter gelöscht. Der Betschemel stand weggeschoben in der Ecke.
Natürlich, dachte die junge Frau, die alte Gräfin Uzdy ist seit dem Tod ihres Mannes mit Gott verfeindet. Sie wollte sich gerade zurückziehen, als links von ihr, in ihrer nächsten Nähe, eine Stimme ertönte: »Was wollen Sie?«
Adrienne bemerkte ihre Schwiegermutter erst jetzt. Sie lag auf dem mit schwarzem Samt umhüllten Diwan. Ihr tiefschwarzes Kleid verschmolz mit der Bettdecke, deshalb war sie ihrem Blick entgangen, zumal sie ihr den Rücken zudrehte; ihr Kopf war dem Fenster zugewandt, hinten verdeckte die Witwenhaube ihr Haar.
Das Kinn auf den Fäusten, stützte sie sich auf die Ellbogen.
Ergreifend, wie sie hingestreckt auf dem mit Trauerfarbe bedeckten Diwan lag, als bewache sie mit ihrem Leib einen Sarg. Adrienne wechselte auf die andere Seite hinüber, doch die alte Frau starrte nur vor sich hin und sah sie nicht an. Und abermals kam die Frage: »Was wollen Sie?«
»Ich wollte nur so zu Ihnen kommen … Das war so schrecklich. Wir müssten etwas tun …« Und sie setzte an, das bisher Verheimlichte zu erzählen, die Sache mit Dr. Kisch, dass er sich Uzdy schon angesehen habe und dass man ihn vielleicht wieder rufen sollte, doch sie war so befangen, dass sie kaum zu
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