Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)
Ihre Schwestern von Venedig zurückgekehrt sind, hatte er nicht die Liebenswürdigkeit, sich zu zeigen. Das ist es, sehen Sie, was seltsam ist!«
Der Schrecken fuhr Adrienne durch alle Glieder. Diese Anspielung auf Venedig war unerwartet und bedrohlich. Sie antwortete umso ruhiger: »Ich für mein Teil war nach Venedig herzlich wenig hier, zumeist hielt ich mich in Mezővarjas auf.«
»Ja, das stimmt, pardon! Richtig, richtig! Pardon!« Uzdy machte steife Bücklinge und schwenkte zustimmend den Arm. Dann durchmaß er noch etwa zweimal den breiten, dämmerigen Salon. Bei der Tür blieb er stehen. »Ich finde das trotzdem seltsam!«, sprach er rückwärtsgewandt. Er lachte, doch wie wenn sich dabei in seinen tatarisch geschnittenen Augen ein drohendes Licht entzündet hätte. »Jawohl, seltsam!« Er öffnete die Tür, trat hinaus, und dann zog er sie hinter sich äußerst langsam und lautlos zu.
Adrienne schaute nun auf ihre Schwiegermutter. Gräfin Clémence saß unverändert gleichgültig, in bewegungsloser Starre da. Ihre Augen blickten vor sich hin, das Gesicht war gespannt, wie wenn sie horchte, als vernehme sie das Echo alter Erinnerungen. Vielleicht hatte sie von allem, was vor sich gegangen war, gar nichts mitbekommen. Adrienne bedachte all dies, bevor sie mit Bálint darüber sprach. Sie erzählte nur das Notwendige und Ausreichende.
Sie erwähnte nicht ihre Besorgnis, die ihr so viel Kummer bereitet hatte, als sie über den Sinn der Worte ihres Mannes grübelte. Warum hatte er das Thema zur Sprache gebracht? Was und wie viel wusste er über sie beide? Und warum wollte er, dass BA sie besuchen sollte, er, der sonst nie jemanden einlädt und dem jeder gleichgültig ist? Warum also wünscht er sich gerade Bálint? Und er hatte Venedig erwähnt! Sollte er einen Verdacht hegen, oder wäre es nur Zufall? Hegt er aber einen Verdacht, dann wird er auch einen Plan haben. Einen gefährlichen Plan, in dem sie, Adrienne, als Mittel dient, wenn sie ihren Geliebten nach Almáskő bittet. Ob es nicht klüger wäre, dies nicht zu tun, sondern ihn von ihrem Mann fernzuhalten?
Lange hatte sie sich mit diesem Dilemma herumgeschlagen. Schließlich entschied sie doch, dass Bálint kommen müsse, was auch immer die Folgen wären. Einander aus dem Weg gehen, dies ließ sich ewig ohnehin nicht durchhalten; besser war es, dem Schicksal ins Auge zu blicken. Dies entsprach auch ihrer tollkühnen Natur. Es wäre ihrer beider nicht würdig, ein Versteckspiel zu spielen: Es gibt ohnehin nur einen einzigen Tod, und sie beide hatten ihn in Venedig bereits heraufbeschworen. Dennoch musste sie auf ihre Miene und ihre Stimme achtgeben, als sie es aussprach: »Du musst herüberkommen …«
Sie vereinbarten, dass BA, sobald Uzdy zurückkehrt, sich zur Mittagszeit in Almáskő zu einem Besuch einstellt.
Abády begab sich einige Tage später hinüber; er trug ein Jägergewand, dazu einen Rucksack auf der Schulter, in dem sich seine Sachen für die Nacht befanden, sowie ein Paar Schuhe für den Abend.
Vor dem Schloss angelangt, stellte er wieder überrascht fest, wie verschlossen und düster hier alles wirkte. Die Gesindehäuser standen auf beiden Seiten, von geschnittenen Buchsbaumhecken verdeckt. Der Rasen in der Mitte bildete einen strengen Kreis, und an der Fassade des Hauptgebäudes hatte man alle Läden geschlossen, als wohne hier niemand. Die Gepflegtheit des Hauses unterstrich womöglich noch seine Unfreundlichkeit. Keinerlei Zufall, keinerlei Unordnung, gemeißelte Steine bildeten den unteren Teil der Mauern, lauter gleichförmige Quader, an denen sich nicht das kleinste Moos fand, dazwischen ein Kiesboden ohne auch nur ein einziges aufsprießendes Unkraut, und in der ganzen Runde ließ sich nirgends ein Blümchen entdecken. Alles war frostig vollkommen.
Er blieb vor der großen, geschlossenen Eichentür stehen. Keine Menschenseele zeigte sich. Was tun? Anderswo auf dem Lande wäre er einfach hineingegangen und hätte die Hausherren gesucht. Hier brachte er das irgendwie nicht über sich. Es schien auch klüger, Addy nicht zu treffen, bevor er Uzdy oder dessen Mutter begrüßte. Er hatte bereits seit einigen Minuten gewartet, als die Haupttür leise aufging und der alte Maier, der Butler, heraustrat. »Die Damen sind nicht zu Hause«, sagte er nach der Begrüßung, »die alte Gräfin ist mit ihrer Enkelin in der Kutsche ausgefahren, und Gräfin Adrienne hat sich in die Richtung der Burgruine auf einen Spaziergang begeben. Geruhen
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