Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)
vielleicht, dorthin zu gehen, Sie werden sie bestimmt treffen.«
»Zuvor würde ich gern Graf Pál begrüßen. Nicht wahr, er ist zu Hause? Ich bitte Sie, ihm zu melden, dass ich angekommen bin.«
Der alte Maier schüttelte abweisend das Haupt. »Er ist zu Hause, bei der Arbeit. Zu solcher Zeit – gleichgültig, worum es sich handelt – ist es verboten, ihn zu stören.«
Etwas unendlich Trauriges klang in der Stimme dieses großgewachsenen, alten Dieners mit. Vielleicht lag es daran, dass Bálint die Frage stellte: »Die Rechnungen der Wirtschaft, nicht wahr, sie nehmen ihn zu dieser Stunde in Anspruch?«
Maier hob einen seiner riesigen Arme; es war eine langsame, wegwerfende Bewegung. Seine Augen, als er Abády ansah, baten beinahe um Mitleid. »Neuerdings fertigt er etwas anderes an; irgendwelche Tabellen … sehr viele Tabellen – ich weiß nicht recht. Aber geruhen zuvor hereinzutreten …«
Bálint zog es vor, im Garten zu warten. Er ging um das Haus und stieg auf der anderen Seite zu der Bank hinab, die in Aussichtslage vor dem Gebäude stand. Drüben ragten über den Horizont die beiden buttergelben Mauern der Burgruine hinauf, unten zog sich der dichte Eichenwald hin, und unmittelbar davor lag der rasenbedeckte Berghang, auf dem es ebenso keine Blumen gab, bloß immergrüne Thujen und Buchs. Die Bank stand vor den Mezzanin-Pfeilern des Rokokobalkons. Kaum war er einige Minuten da gesessen, als aus dem merkwürdigen, in Schweizer Stil erbautem Flügelbau, den Uzdys geistesgestörter Vater hatte erstellen lassen und der, von einer Ecke des alten Schlosses ausgehend, sich am Hang turmhoch erhob – als aus einem unteren, doch hier schon ein Stockwerk hoch liegenden Fenster plötzlich Pál Uzdys Stimme ertönte, und auch sein tatarisch anmutendes Mephisto-Gesicht im Rahmen der dunklen Öffnung erschien. »Nu! Da bist du also? Ich freue mich sehr, ganz besonders freue ich mich. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich mich freue!« Und mit blinkenden Zähnen unter seinem langgezogenen Schnurrbart lachte er zum Gast hinab. »Warte auf mich, gleich komme ich hinunter.«
Der hölzerne Vorbau knarrte unter seinen gemessenen Schritten, ebenso die Treppe, als er an der Schmalseite des Hauses hinabstieg. Langsam, aber überaus freundlich näherte er sich Bálint. Er schüttelte ihm nicht nur die Hand, sondern umarmte ihn auch an den Schultern. »Gut, dass du gekommen bist, sehr gut ist das!«, wiederholte er. Abády hatte ihn noch nie so freundschaftlich erlebt. Er fragte ihn auch aus, wo er sich aufgehalten, womit er sich beschäftigt habe. Die Antworten schienen ihn zu interessieren, und der spöttische Ton, der ihn schon immer charakterisiert hatte, war nun irgendwie verschwunden. Einzig in seinen winzigen, schrägen Augen blinkte manchmal etwas, wenn er den jungen Mann vom Scheitel bis zur Sohle musterte.
Lange unterhielten sie sich, beinahe als wären sie gute Freunde. Zuletzt kehrte Adrienne heim, und nun spazierten sie zu dritt auf und ab und führten eine nichtssagende Konversation, bis der alte Butler sie zum Mittagessen rief.
Etwas Erwähnenswertes ereignete sich auch beim Mittagsmahl nicht. Ebenso wenig hernach im großen ovalen Salon, der mit seinen eisig grauen Wänden hinter den geschlossenen Jalousien ein wenig bedrückend wirkte. Alles war so bemessen und genau geordnet wie immer. Symmetrisch stehende große, schwere Möbelstücke, nirgends eine persönliche Note, nirgends Raum für den Zufall, alles auf seinem Platz, als ob hier niemand lebte. Auch die Unterhaltung schleppte sich nur um der Form willen hin, als spräche jedermann bloß mit dem Mund, während seine Gedanken anderswo weilten. Der Redefluss stockte manchmal, dann wieder änderten sich die Themen ohne Grund, die alte Gräfin wechselte sie unerwartet, wie das einzig dem französischen Ausdruck entspricht: »Faire la conversation« – »Konversation machen«.
So dauerte es lange. Bálint spürte wieder die eisige Atmosphäre, die ihn in diesem Haus immer umfing, als schwebe Unausgesprochenes und Rätselhaftes in der Luft, Fragen bedrohlicher und geheimer Art. Es ging schon eine Stunde auf solche Weise zu. Eigentlich sprachen nur Gräfin Clémence und Abády. Adrienne saß stumm da, und es schien, als weiteten sich vor Erwartung ihre Augen. Uzdy schritt wortlos auf und ab, stets gleichförmig, genau vom Kamin bis zur Balkontür und zurück. Seine schrägen, rußfarbenen Augen hefteten sich immer öfter auf Bálint. Manchmal
Weitere Kostenlose Bücher