Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)
geworden sei und sie bei der Einfahrt zum Dorf den Weg nicht mehr hätten fortsetzen können. Kajsza stellte kurze Fragen: »Wo steht der Wagen? Was ist damit passiert? Wann hast du zu Nacht gegessen?« Dann läutete er dem Diener und traf Anordnungen: Der Kutscher und seine Pferde seien zu versorgen. Hernach wandte er sich an seine Frau. Erneut legte er den Schnurrbart zurück, und seine Lippen bewegten sich stumm.
Die Frau stand auf. Wortlos wandte sie sich hinaus. Dienstfertig. Der junge Mann folgte ihr unwillkürlich mit den Augen. Ihre Art zu gehen war wunderbar. Fernöstliche Tänzerinnen pflegen so zu gehen, mit entgegengesetzten Schulterbewegungen, leicht geschleppt, sich wiegend. Langsame Rhythmen geheimnisvoller Rituale hätten ihre Schritte begleiten können. In der Tür verschwand sie wie eine Vision. Sie kam nicht mehr zurück, doch nach einigen Minuten wurden zwei weitere Lampen, ein kleiner Zusatztisch und ein kaltes Nachtmahl gebracht. Nicht zu leugnen, die Speisen mundeten Bálint. Es war schon eine gute Weile her, dass er in Udvarhely etwas zu sich genommen hatte.
Der alte Herr befragte ihn nach der Versammlung in Homoród. Bálint berichtete manches, aber die Konversation zog sich ziemlich mühsam hin, denn der Hausherr, ein schweigsamer Mann, stieß neben seiner Zigarre nur gelegentlich das eine oder andere unanständige Wort aus. Er war es nun einmal so gewohnt. Bálint blickte während der Unterhaltung auf. Das Porträt, ein großes Ölgemälde, befand sich an der Längswand genau ihm gegenüber. Er konnte es erst jetzt richtig sehen. Gewiss das Bildnis der jungen Frau Kendy.
Die gleiche Gestalt, nicht groß, doch wohlproportioniert, das gleiche Gesicht. Die geheimnisvollen grauen Augen zwischen den wie Ruß wirkenden Linien der Wimpern. Die Brauen zusammengewachsen. Und das Haar – auch da, auf dem Bild – in zweifacher Krone um das Haupt gewickelt, wie einst bei Königin Elisabeth. Eines nur war anders und unerwartet: Das Kleid, in dem der Maler sie darstellte, entsprach nicht dem heutigen Zeitgeschmack, auch nicht dem der jüngsten Vergangenheit, sondern der Mode der siebziger Jahre: lange, enge Ärmel, eine spitz zugeschnittene Taille, ein doppelter Rock mit sehr vielen verschiedenfarbigen Rüschen und mit kleinen Kunstblumensträußchen, die sich üppig miteinander verflochten. Und doch war das Kleid schön – harmonisch trotz seiner Fremdheit.
»Oh, welch wunderbares Porträt!«, rief Bálint hingerissen. »Und wie sehr es gleicht!«
Der alte Kajsza antwortete nicht, er zog nur an seiner Zigarre und ließ eine Rauchwolke los.
»Von wem stammt es? … Selten habe ich ein so ausgezeichnetes Gemälde gesehen!«, fuhr der junge Mann fort und blickte auf den Hausherrn.
»Vielleicht von irgendeinem Franzosen oder sonst einem Rindviech«, brummte jener.
»Und wie interessant das Kleid ist! Bestimmt war die Gräfin so verkleidet auf einem Maskenball …«
Der alte Herr saß bloß und schwieg. Abády erhob sich, um das Bild näher zu betrachten. Wie er es leicht von der Seite prüfte, fiel ihm im Licht der Lampen auf, dass sich quer über die Leinwand eine lange Narbe hindurchzog; sie begann hinter der rechten Schulter und reichte links bis zur Hüfte, wo sie sich im Strauß der Kunstblumen verlor. Jemand musste den Riss geschickt ausgebessert haben, man hatte die Leinwand wohl auch von der Innenseite her unterlegt, aber die Beschädigung war doch deutlich wahrzunehmen. Er hatte die Frage nach der Ursache schon auf der Zunge, dann aber doch darauf verzichtet. Er wusste, dass der alte Kajsza Befragungen nicht mochte, und es wagte denn auch kaum jemand, ihn solchen Verhören zu unterwerfen. So setzte er sich wortlos wieder dem Gemälde gegenüber.
Das Porträt lächelte geheimnisvoll auf ihn herab. Erst da auf dem Bild, dachte Bálint, sieht man, welch sinnlichen Mund sie hat, ich habe es vorhin gar nicht so klar bemerkt …
Sie schwiegen geraume Zeit. Beide betrachteten das Porträt. Dann meldete sich der alte Kajsza auf einmal zu Wort: »Wie steht es um László Gyerőffy?«
Das war überraschend. Abády vermochte seine Verwunderung schwer zu verbergen. Dass er sich so, ohne jeden Grund, nach Gyerőffy erkundigte?
Ihm konnte der Zusammenhang freilich nicht bekannt sein. Dabei gab es einen, und zwar einen sehr engen. Das Bild stellte nicht Kendys Frau dar, sondern Júlia Ladossa, László Gyerőffys Mutter. Sie war in Paris von Cabanel, dem damals meistgesuchten Maler, porträtiert
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