Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)
schwacher Schützen standen. Solche Menschen stürzten von vornherein in die Vernichtung. Als Zweite fielen all jene durch die Maschen, von denen es hieß, sie seien zänkisch, streitsüchtig und schlecht erzogen. Männer dieser Art hatten zum Hausherrn keinen Zutritt. An der dritten Schranke scheiterten Personen mit ausdrücklichen parteipolitischen Standpunkten, sie wurden nämlich von Szent-Györgyi verabscheut. Es war zwar erlaubt, vor ihm über Politik zu sprechen, er selber tat dies auch, aber man hatte das ohne Leidenschaft, sozusagen aus der Vogelperspektive zu tun. Die Herkunft bedeutete die vierte Probe. Darin hatte er ganz eigene Gesichtspunkte. Da er reiche geschichtliche und genealogische Kenntnisse besaß, stufte er Reichsprinzen oder sogar manch einen aus der Klasse der Majestäten oft tiefer ein als etwa einen einfachen Adeligen. Dies dann, wenn ihm die Art und Weise missfiel, auf welche die betreffende Hoheit zu Vermögen oder Rang gekommen war, ihm hingegen von dem Edelmann bekannt war, dass dessen Vorfahren sich seit Urzeiten als »anständige Menschen« benommen hatten. Wer seine Abstammung bis zum Zeitalter der Árpáden 33 zurückzuverfolgen imstande war, ohne dass sich unter all diesen Generationen ein Vorfahre fand, der eine niedrige Tat begangen hätte, genoss bei ihm unbedingt einen Vorteil, sofern er den zuvor genannten Bedingungen entsprach. Jenseits der fünften Schranke verblieb ein jeder, der sich, in welchem Rang auch immer, als Tscheche zu erkennen gab. Diese fand er widerwärtig. Das erklärte sich vielleicht damit, dass im 15. Jahrhundert die Heere Griskas 34 die Güter der Comes Szent-Györgyi und Bazini verwüstet hatten; oder es mochte daher kommen, dass er die damals erstarkende Sokol 35 -Bewegung für panslawistisch und russenfreundlich und somit für einen Feind der Monarchie hielt. Der sechste Grund, jemanden auszuschließen, war ganz außergewöhnlich. Unter diese Klausel fielen alle, die einen beliebigen Kontakt zum Thronfolger Franz Ferdinand pflegten oder ihm zu gefallen suchten. Als Oberstallmeister am Hof des alten Königs hielt er solche Leute für gewinnsüchtige Streber; er meinte, sie machten ihre Spekulationen, indem sie mit dem Tod Franz Josephs rechneten. Als Gäste kamen also bei ihm nur jene in Betracht, die innerhalb des siebten Rings geblieben waren. In den ungeschriebenen Regeln war aber dieses Jahr eine Bresche entstanden. Es hatten sich zwei Gäste eingestellt, denen angesichts dieser Gesichtspunkte hier zu begegnen, eine Überraschung bedeutete.
Einer der beiden war Frédi Wuelffenstein. Der gute Frédi galt als ein nicht sehr gewichtiger, aber zum Kämpfen umso mehr aufgelegter Parteimann und war auch im Übrigen rechthaberisch und von unangenehmen Umgangsformen. Er wusste immer alles besser und gab dies auch laut zu verstehen. Doch sein Fall mochte noch hingehen. Hier in Jablánka würde er sich bestimmt zügeln; seine Schwester, Frau Berédy, die einzige Dame unter den Gästen, die keine Verwandte war, hatte seine Einladung durchgesetzt.
Eine gewichtigere Ausnahme bildete der Fall Jan Slawata. Dass er hier aufgenommen wurde, wirkte in der Tat überraschend. Als schlechter Schütze hätte er schon beim äußersten Ring durchfallen müssen. Ebenso beim dritten, denn einen seiner Vorfahren, der sich nicht wehrte, obwohl er einen Säbel besaß, hatten die Stände 1618 im Hradschin aus dem Fenster geworfen. Hätte er sich den Hals gebrochen, so wäre Szent-Györgyi nachsichtig gewesen, doch der Mann war auf einen Misthaufen gefallen und unverletzt geblieben; derartiges gehörte somit in die Rubrik »schwaches Benehmen«. Beim fünften Ring galt das Gleiche, denn Slawata galt als ein tschechischer Nationalist, was er auch allen laut verkündete, er nannte sich nicht Johann, sondern auf Tschechisch Jan. Und da gab es auch noch die sechste Schranke, denn es war allgemein bekannt, dass er zum Belvedere-Kreis gehörte und angeblich als Franz Ferdinands außenpolitischer Berater wirkte. Und trotzdem befand er sich nun hier. Trotzdem durfte er in Jablánka den Garten Eden betreten, dieses Jägerparadies. Eine unerhörte, erstaunliche Begebenheit. Und zwar dermaßen, dass der Hausherr es dieses eine Mal notwendig fand, den übrigen Gästen, Bálint Abády, Imre Wárday und sogar seinem jungen Neffen, Luika Kollonich, eine Erklärung vorzulegen, warum es zu dieser Einladung gekommen war.
Szent-Györgyi hatte sich aus Deutschland einen Rassenvorstehhund, einen
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