Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)
kinderleicht. Und bei den Treppenkehren hat man sich gegenüber einzig die Wand, man kann von niemandem bemerkt werden. Das würde sie heute zur Sprache bringen, anbieten, dass sie diese Nacht herunterkommt, das ist das Beste, kann sein, dass Antal sich vor einer Erkältung im schwach geheizten Korridor fürchtet und darum nicht gewollt hat. Die Männer sind so heikel! Und Fannys fein gebogener Mund verzog sich zu einem wissenden Lächeln.
Die Kalesche fuhr an Wuelffenstein vorbei zu dessen Nachbarn, Stefi, dem ältesten Sohn der Szent-Györgyis. Sie hielt hier auf einen Wink Frau Berédys. Sie stieg ab, denn jenseits dieser Stelle befanden sich nur noch Imre Wárday mit Magda, dem gastgebenden Hausfräulein, sowie Abády, der an der Ecke stand.
Auch er war bereits in Begleitung einer Frau, der kleinen Lili Illésváry. Sie war beinahe noch ein Kind, kaum älter als 17 Jahre. Ihre Schönheit kündigte sich erst als ein Versprechen an. Jetzt war sie noch ein wenig drall, mit den rundlichen Wangen und Armen eines Backfischs. Sie benahm sich auch linkisch und schüchtern, als spüre sie, dass ihre Frauenhaftigkeit noch unvollendet und unverfeinert war. Dabei würde sie gewiss schön werden. Ihre wunderbaren, großen Augen waren azurblau, der Mund weich gezeichnet, und ihr Profil folgte den griechischen Kameen, obwohl das energische Kinn, von der Szent-Györgyi-Mutter geerbt, noch in die vollen Formen der Kindheit gebettet war. Sie hatte mit ihrer Cousine bei Wárday bleiben wollen, doch die beiden schickten sie hinüber zu Abády an der Ecke.
»So viele wie wir sind, passen wir da nicht hin«, sagte Magda, »geh du zur Ecke, man kommt dort auch bequemer vorwärts, denn hinter den Leuten an der Flanke bleibt ein gut ausgetretener Pfad zurück.« Sie wechselte also hinüber.
»Darf ich dableiben?«, fragte sie sehr bescheiden, als sie ankam. Bálints freundliche Worte beantwortete sie kaum, nur ihre großen Augen blickten verwundert in die Runde, in die Welt der Erwachsenen, die sie jetzt zum ersten Mal betreten hatte, während ihrem Begleiter dies durch den Kopf ging: Welch frische Jugend strahlt sie aus!
Nun erschallten die Hörner, als Erstes in der Nähe, dann drüben und hernach in der Ferne, an den unsichtbaren Spitzen der zwei Flanken, und das Kommando ertönte: »Vorwä-ä-ä-rts!« 38
Das Treiben begann. Die Bauernmädchen vor Bálint und Lili zogen los, sie schritten hintereinander unter der Führung einiger mit Büchsen ausgestatteter Wildhüter. Dahinter folgten ein Gewehrlader, vier Wildträger mit einer langen Stange und ein weiterer Mann, der die Patronenkassette schleppte. Seitwärts gingen die Männer, die Treiber der Front, hinten von berittenen Aufsehern ständig kommandiert: langsam, geradeaus – »pomaly! rovno!« Und weit zurückliegend, der Nachhut ähnlich, rollten im Schritttempo auf allen Feldwegen von gewaltigen Pinzgauer Pferden gezogene, zum Transport der Beute bestimmte Wagen, so wie die schwere Artillerie die Armeen zu begleiten pflegt.
Hasen! Überall Hasen. Klein, eher semmelblond, ganz anders als die Hasen in Siebenbürgen, die vor der Hundemeute von Zsuk auch eine volle Stunde laufen können. Denn nur Städter glauben, ein Feldhase gleiche dem anderen. Unterschiede gibt es bereits zwischen den Tieren, welche die Kleine oder die Große Tiefebene bevölkern, von den Hochgebirgsrassen nicht zu sprechen. Auf dem weiten Flachland stürmen die Hasen beim Treiben überall nach vorn. Vielleicht weil sie robuster sind. In der ersten Stunde ist kaum ein Wild zu erblicken, Massen gibt es erst gegen das Ende der Treibjagd. In der Region des Vágtals laufen sie dagegen ständig vor der Linie der Jäger herum, die Büchsen krachen von der ersten Minute an.
Zwei bis drei, manchmal fünf bis sechs Hasen galoppierten etwa hundert Meter von der Front entfernt. Auf den sorgfältig bebauten Äckern, auf den Rapsfeldern oder im grünen Weizen boten sie im herbstlichen Sonnenschein ein schönes Bild – als tanzten sie. Noch kamen sie leicht vorwärts, sie warfen bei jedem Sprung das kleine, weiße Hinterteil hoch. Der eine oder andere setzte sich manchmal hin, schaute sich um – gewiss wunderte er sich über die bunte Reihe von Röcken all der Bauernmädchen –, und dann ging es weiter in gleichem Takt. Sie liefen alle in Kolonnen, suchten als Pfad die vom Dampfpflug gezogenen Furchen. Sie hielten, so gut es ging, Abstand, und nur wenn Stefi oder Frédi von der Mitte einen Schuss in ihre
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