Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)
Aufregung. Sie versteckten sogar die Devotionalien und schrieben dem Bischof Drohbriefe. Die Priester des Bischofs fürchteten sich. Gegen den Rat des Oberstuhlrichters erbaten sie zum Ausflug in das Dorf die Begleitung von Gendarmen. Dort stürzte sich eine riesige, erboste Menge auf sie, um sie zu steinigen. Zum Selbstschutz und zur Verteidigung der Priester schossen die Gendarmen auf das Volk. Es gab neun Todesopfer und zahlreiche Verwundete, von denen später noch etwa sechs starben. Eine traurige, blutige Angelegenheit.
Wirklich traurig, da gab es keinen Grund zum Lächeln. Slawata jedoch sah es anders. Er kannte sehr wohl die Beziehungen zwischen der Bewegung und dem Büro des Thronfolgers, der »Werkstatt«, wie es die Parteigänger nannten. Vorkommnisse dieser Art waren gut. Möge es nur üble Vorfälle geben, möglichst viel Übles. Nach seiner Thronbesteigung demnächst würde der neue Kaiser alles in Ordnung bringen. Auf seine Art, versteht sich. Es traf sich gut, dass sich die ungarische Regierung nicht zwischen den Bischof und das Dorf gestellt, sondern den Ereignissen ihren Lauf gelassen hatte. Und wie ihn der Wagen auf der steigenden Serpentine weiter schaukelte, zitierte er in Gedanken Goethe: »Blut ist ein ganz besondrer Saft …« 41 Denn er war ein überaus belesener Mann.
V.
In der letzten Kalesche kutschierten Frau Berédy und der Hausherr zurück. Der schönen Fanny bot sich hier während mehr als einer Viertelstunde Gelegenheit, ihren Plan zur Sprache zu bringen. Sie sprach natürlich englisch, damit der Kutscher nicht verstand.
Dass sie sich umgesehen habe. Dass sie diese Nacht auf der Nebentreppe ganz leicht herunterkommen könnte – oh, ganz unbemerkt –, wenn sich jedermann zur Ruhe begeben habe. Ganz leicht, ihr mache das nichts aus, sie werde sich auch nicht erkälten, zumal sie einen gut gefütterten Kimono besitze … und dass es so lustig wäre … besser als wie wenn er zu ihr käme … viel hübscher … Und sie variierte und bekräftigte dies auf viele Arten, denn sie meinte, Szent-Györgyi habe sich gestern, als er Nein sagte, bloß vor der Erkältung gefürchtet und seinen Egoismus zu verheimlichen gesucht.
Herrn Antals schmales Windhundgesicht blieb aber unbeweglich und beinahe frostig. »That won’t do! That won’t do!« So geht es nicht. Und er schüttelte leicht den Kopf.
»Ja, warum denn nicht?«, fragte die Frau verwundert, und erneut setzte sie auseinander, was sie am heutigen Morgen in Erfahrung gebracht hatte: dass der Korridor und die Treppe und gleich daneben das Badezimmer, dass es nur eine Minute dauere und dass sie auf sich sehr achtzugeben verstehe …
»No … no …«, wiederholte der Mann, und als Fanny ihn zu ermuntern suchte, indem sie darüber sprach, wie sehr sie ihn jetzt am Ende der Treibjagd bewundert, ja sich an seinem Anblick geweidet habe und wie sehr sie es sich wünsche, ihn zu umarmen, da wandte er sich mit kaltem, strengem Blick ihr zu. »Das tue ich hier nicht. Hier bin ich zu Hause … Das ist mein Heim. Das hier ist nicht … nicht so etwas! Das passt nicht, nein.« Und dann, um die Wirkung seiner Worte abzuschwächen, lachte er ein wenig, doch seine Stimme blieb entschlossen, als er hinzufügte: »Ich bin solch ein Esel, dass ich Prinzipien habe.«
Die Augen der schönen Frau Berédy verengten sich katzenhaft. Ein schmaler Streifen nur blieb zwischen ihren Wimpern. Und mit süßer, dünner Stimme zwitscherte sie: »Oh, dear, what a charming fool you are …« Dabei fühlte sie gleich, dass sie ihm diese kaum verhüllte Beleidigung heimzahlen würde.
Die Kutschen fuhren einzeln durch das vier Klafter hohe Tor. War der Gast erst ausgestiegen, dann kurvte das Gespann in den mit Kopfstein ausgelegten Hof, wo der Kutscher bei der gegenüberliegenden Fassade die Pferde rückwärts schreiten ließ, damit sie genau in rechtem Winkel zur Mauer zu stehen kamen. Das Dach der Kaleschen berührte beinahe die Pfeiler des Korridors. So warteten sie aufeinander, bis dann endlich alle 16 Pferde in Reih und Glied versammelt waren. Leise ließen sie ihre Zaumketten rasseln, standen aber sonst unbeweglich. Eine kurze Weile verharrten sie, hernach zog das äußerste Gespann los, und in langsamem Schritt fuhren sie hintereinander zum Tor hinaus, den Hügel hinunter zu den Ställen.
Es gab niemanden, der diese wunderbare Zeremonie bestaunt hätte, dabei verlief sie so vollkommen, wie von einem Maschinenwerk ausgeführt. Die Gesellschaft stieg eilig die
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