Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)
und ordnete gleich an, telefonisch einen Wagen zu bestellen und auch die Molkerei zu benachrichtigen.
»Gestern die Schafzucht, vorgestern die Poland-China-Schweine, ich kann dir sagen, du bist ein fleißiger Landwirt«, rief Luika Kollonich spöttisch zu ihm hinüber.
»Aber klar«, erwiderte Wárday. »Das ist doch eine seltene Gelegenheit, ein solches Mustergut zu sehen und dazu Experimente, die sich nicht jedermann erlauben kann. So etwas kostet ja Unmengen von Geld.«
»Ja, das stimmt schon. Aber das … ist notwendig. Zu Széchenyis 43 Zeiten haben wir die englischen Vollblutpferde eingeführt, später die Rambouillet-Schafe und das Simmentaler Fleckvieh, doch heute muss man weitergehen. Ein Großgrundbesitzer kann schließlich leichter experimentieren als der Staat, und dies ist, wie ich meine, auch eine Liebhaberei aus Leidenschaft und …« An dieser Stelle ging der Satz in einer unbestimmten Handbewegung unter, denn Szent-Györgyi hätte die Wörter »eine Pflicht« – sie kamen ihm zu schwülstig vor – nicht um die Welt mehr ausgesprochen.
Frau Berédy blickte von der anderen Seite des Tisches Wárday an. Noch sagte sie nichts, doch als er aufbrach, erhob auch sie sich. »Ich gehe mit Ihnen.«
»Kommen Sie nicht eher mit uns zu den Zuchtstuten?«, fragte Szent-Györgyi, der sie bis zur Tür begleitete.
»Nein, ich bin jetzt auf anderes neugierig«, erwiderte die schöne Fanny, sie schritt an ihm rasch vorbei und fügte lachend hinzu: »Wir haben heute ohnehin schon eine gemeinsame Kutschenfahrt unternommen!« Und sie eilte hinaus.
Szent-Györgyi zuckte die Achseln und kehrte zu den anderen zurück.
Dabei war es schade, das Gestüt der Vollblutpferde nicht zu besuchen. Allein schon das Stallgebäude durfte als sehenswert gelten. Nach englischen Vorbildern erbaut hatte es Szent-Györgyis Großvater. Es stand im Park inmitten einer weiten Wiese. Im Mittelteil war es ziemlich hoch. Dort befand sich ein Biedermeier-Salon, in dem es Parkett gab und ein Cheminée; vorne und hinten reichte das Fenster bis zur Erde, und darüber lag der Heuboden. An den beiden Seiten schlossen sich je fünf gemauerte Boxen an, wie wenn sie kleine Zimmer wären. Von jeder führte eine doppelte Tür hinaus ins Freie, man konnte sie ganz öffnen, der obere Teil ließ sich aber auch allein aufmachen. Bei schlechtem Wetter durften auf solche Weise die Pferde-Mama und ihr Fohlen frische Luft atmen, ohne nass zu werden. Von allen Trennwänden des Stalls gingen Zäune aus, der Abstand zwischen ihnen wuchs ständig, strahlenförmig zergliederten sie die Wiese; der Kreis schloss sich beim Hochwald, der die Anlage umgab. In den Paddocks weideten die vorzüglichsten Vollblutstuten, in jedem eine. Alle waren sie Mütter berühmter Rennpferde und Gewinnerinnen großer Stutenpreise.
Szent-Györgyi gab Erläuterungen, Wuelffenstein spuckte große Töne, indem er sich von Mal zu Mal mit fachmännischen Sportsätzen zu Wort meldete, Abády und Luika weideten sich am Anblick, der sich darbot, Slawata spielte den Interessierten, während Magda und Lili die zahmen Pferde streichelten und sie ohne Maß mit Zucker fütterten. Von hier aus begaben sie sich zum Gehege der von den Müttern bereits getrennten Fohlen sowie zu den zwei berühmten, aus England importierten Hengsten.
Wirklich schade, dass Frau Berédy sie nicht sieht, dachte Szent-Györgyi, denn er war, obwohl er es nicht erkennen ließ, auf seine Vollblutpferde besonders stolz.
Die schöne Fanny jedoch ließ sich weiter unten zusammen mit Wárday von Meierei zu Meierei kutschieren. Sie hörte friedlich den Berichten der Verwalter zu, die Tabellen über den Milchertrag vorzeigten und die chemischen Geheimnisse der Butterherstellung, die Rekorde der Kühe, Prozentrechnungen sowie Eisenbahntarife erklärten. Alle hiesigen Produkte gingen natürlich nach Wien. Sie lauschte brav, verweilte stehend, setzte sich in Bewegung, machte den Rundgang mit, wandte sich um und blieb neben Wárday erneut stehen, manchmal nickte sie auch zustimmend, und sie folgte ihm überallhin mit ihrem merkwürdig schwankenden Gang, bei dem sie – wie ein Kätzchen – ihre Füße geschmeidig hintereinander in einer Linie auf den Boden setzte. Denn sie handelte niemals überstürzt; sie verstand zu warten. Und niemand hätte je bemerkt, dass sie wartete.
Es dunkelte bereits, als sich ihre Kalesche von der dritten Meierei wieder heimwärts wandte. Es war ein schöner, wenn auch ein wenig kühler Abend.
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