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Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Verschwundene Schätze: Roman (German Edition)

Titel: Verschwundene Schätze: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miklós Bánffy
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nächsten Frühling offiziell angekündigt wurde, undenkbar gewesen.
    Im vergangenen August hatte sich Eduard wiederum nach Ischl begeben. Bei aufmerksamer Beobachtung musste man zum Schluss kommen, dass die Reisen des Königs den Eindruck erweckten, sie hätten Deutschlands Einkreisung zum Ziel. Man sprach jetzt vor dem offenen Feuer über diese Zeichen. Und namentlich über die Frage, was sich in Ischl abgespielt habe.
    Irma Szent-Györgyi, Frau Illésházy, saß in einem Lehnstuhl neben dem Cheminée. Sie war ebenso groß gewachsen und schmal gebaut wie ihr Bruder. Zwischen den länglichen Fingern hielt sie eine mittlere Havanna-Zigarre, was für eine Dame als ungewöhnlich galt, sie aber war der Meinung, sie dürfe die herrschende Meinung missachten. Sagte sie etwas, dann blies sie den Rauch stärker aus, als wolle sie damit den soeben ausgesprochenen Satz unterstreichen.
    »Ich glaube nicht an all dieses dumme Geschwätz« – (»toutes ces blagues«, denn sie sprach französisch) – »eine meiner Freundinnen, die dabei war, versichert, es sei nur ein Höflichkeitsbesuch gewesen, une visite de politesse. Am Ende ist es doch natürlich, dass der englische König, wenn er schon in unserem Land weilt, Europas ältesten Monarchen aufsucht.«
    Pfaffulus widersprach vorsichtig; er riskierte nur die Frage, ob es denn in England oder eben in Frankreich nicht auch Badeorte gebe, die Marienbad glichen. Ob es wirklich notwendig gewesen sei, nach Österreich zu reisen, wenn Eduard sich von ein paar überflüssigen Kilos habe befreien wollen. Nun holte Slawata zu einem längeren Vortrag aus. Indem er von den Geheimnissen des Außenministeriums, des Ballhausplatzes, etwas preisgab, wollte er die Einladung honorieren, die ihm eigentlich, wie er – hierin Szent-Györgyi gleich – meinte, nicht gebührt habe. Was er erzählen würde, sollte freilich nicht zum Bestbehüteten gehören, nicht in die Kategorie »streng geheim« 46 fallen, sondern von kleinerem Kaliber, aber doch von der Art sein, dass es über den Kreis von Vertrauensleuten nicht hinausgelangte. Auch so sprach er freilich überaus vorsichtig, auf allfällige unerwünschte Folgen bedacht.
    »Laut den Meldungen aus London«, sagte er, »beabsichtigte der König von England tatsächlich, Franz Joseph dazu zu veranlassen, sich vom Bündnis mit Deutschland zurückzuziehen. Anbieten wollte er eine Garantie für die territoriale Integrität der Monarchie, wenn Österreich-Ungarn bei einem englisch-deutschen Konflikt neutral bleiben würde, was gleichbedeutend wäre mit der Auflösung der Trippelallianz. Dazu aber, wie es scheint, kam es nicht. Gleich zu Beginn der Unterhaltung, noch bevor ein Angebot dieser Art gemacht worden wäre, unterstrich Seine Majestät seine Treue zu seinem bisherigen Bündnispartner. Wie sich das zwischen den zwei Herrschern unter vier Augen im Einzelnen zugetragen hat, dafür haben wir naturgemäß keine Belege, aber am Ballhausplatz haben wir dem deutschen Botschafter diese Mitteilung zukommen lassen. Berlins Nervosität ist verständlich, denn um Deutschland schließt sich der Kreis, wenn Österreich-Ungarn der vergrößerten Entente beitritt.«
    »Aber warum befeindet der englische König Kaiser Wilhelm dermaßen, wo dieser doch sein Neffe ist?!«, rief Wuelffenstein.
    Slawata lächelte. »Wenn Verwandte einander verabscheuen, ist das übler als bei Fremden. Der reale Hauptgrund ist aber der Bau der deutschen Kriegsmarine. England wird das nicht mehr lange hinnehmen.«
    »Die Sache birgt die ernsthafte Gefahr«, sprach nun der Stiftsherr, »dass wir unter solchen Umständen Italien als Partner leicht verlieren können. Italien kann schwerlich anderswo stehen als England. Das ganze Land ist eigentlich eine Halbinsel im Meer, auf dem Meere herrschen aber die Engländer. Ich habe neulich in Rom solche Stimmen gehört. In einem solchen Fall aber schließt sich der Kreis nicht um Deutschland, sondern um die beiden Zentralmächte, das heißt um uns.«
    Slawata warf ihm hinter seinen Brillengläsern einen kurzsichtigen Blick zu. »Da müsste man eben Prevenire spielen« 47 , sagte er rätselhaft.
    Der kleine, dicke Priester drehte sich ihm zu. Seine Miene blieb ruhig, nur die rußfarbenen Brauen auf der Stirn bewegten sich hin und her. Doch bevor er seine vorsichtig und umständlich formulierte Frage ausgesprochen hätte, vernahm man einen Seufzer Frau Illésvárys: »Dann war es vielleicht ein Fehler, das englische Angebot zurückzuweisen.«
    Ihr

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