Verseucht - Endzeit-Thriller (German Edition)
ich keine Ahnung, was mich weiter und weiter trieb, denn natürlich war auch mir klar, dass am Ende des Regenbogens kein Topf voller Gold wartete. Nur Elend. Ich eilte nicht auf das Licht am Ende des Tunnels zu, sondern floh vor der Dunkelheit, die von Tag zu Tag näher rückte und genauso wie wir nach Westen zog.
Ich weiß nicht, was ich getan hätte, wäre in diesem Augenblick nicht ein nackter Mann auf die Straße getreten. Sofort war ich wieder hellwach. Er war leichenblass und unbehaart. In seine Haut hatten sich so große Löcher gefressen, als hätte ihm jemand Stücke herausgebissen. Unterhalb der Augen waren keine Gesichtszüge mehr zu erkennen, sondern nur noch nackte Muskeln. Wie ein halb sezierter Toter grinste er uns mit leeren schwarzen Augen an.
Ein Krätzekranker.
Ein Mann, den ein fleischfressendes Virus oder irgendein Pilz bei lebendigem Leib verzehrte. Er blickte von mir zu Janie. Als er zu ihr hinüberging, kreischte sie nicht auf, fuhr auch nicht zurück, sondern blieb mit gequältem Blick einfach abwartend stehen.
Ich hob die Beretta und schoss. Die Wucht des Einschlags warf ihn nach hinten, doch gleich darauf beugte er sich vor, presste die Hände auf die Wunde und knurrte vor Schmerzen.
Und das Knurren wurde beantwortet.
Als ich mich umdrehte, entdeckte ich einen weiteren Krätzekranken – einen nackten, kahlköpfigen jungen Mann –, der wie ein Hund auf allen vieren lief und uns so wütend anknurrte, dass ihm gelblicher Schaum aus dem Mund trat. Meine Patrone traf ihn in den Kopf.
Ich zerrte Janie weiter, doch als ich mich umdrehte, sah ich, dass uns der Rückzug zur Autovertretung versperrt war: Wir waren in ein ganzes Nest von Krätzekranken geraten. Sie drangen aus allen Löchern und Erdspalten, krochen wie Schnecken, denen mit Salz gesättigte Erde zusetzt, ins Freie. Alle nackt, alle voller Wunden, alle zerfressen von aufklaffenden Geschwüren, alle berauscht von Mordlust und Blutgier. Unglaublich: Manche Geisteskranken liefen auf allen vieren herum, viele davon im Kreis, andere sprangen auf Motorhauben und wieder herunter, als wären sie Affen. Einige fickten auch oder rieben ihre Genitalien an den Beinen ihrer Gefährten. Eines hatten alle miteinander gemein: Sie beobachteten uns. Und rückten langsam zu uns vor.
Janie und ich rannten den Gehsteig entlang, im Rücken das Stampfen Dutzender nackter Füße, die uns folgten. Und alle Türen, die ich ausprobierte, waren verriegelt. Als wir um eine Ecke bogen, stürzte sich ein Krätzekranker auf mich und stieß Janie zu Boden. Ich zog ihm den Kolben der Beretta über den Schädel, sodass er auf die Knie fiel, versetzte ihm noch einen Tritt ins Gesicht, zerrte Janie hoch, und wir flüchteten weiter.
Schließlich hatten wir Glück und stießen auf ein früheres Kaufhaus, dessen Glastüren eingeschlagen waren. Ein gutes Versteck: Der Komplex bestand aus zahlreichen Boutiquen und Geschäften, die alles Mögliche verkauft hatten – von exquisitem Hundefutter über Golfschläger bis zu Designermode. Wir verschanzten uns hinter dem Verkaufstresen eines Lederwarengeschäfts, klammerten uns aneinander und wagten kaum zu atmen.
Sofort spürte uns jemand auf, wie ich, ohne hinzusehen, an dem höllischen Gestank merkte. Während wir uns auf den Boden kauerten, entdeckte ich in einem der Spiegel aus Diamantglas die Silhouette eines großen fleischigen Mannes. Er röchelte, als wären seine Lungen mit einer zähen Flüssigkeit gefüllt. Immer wieder murmelte er kaum verständliche Dinge vor sich hin, doch einige Brocken bekam ich mit: »Oh, oh, oh, oh. Hier? Nein, nicht hier. Da drüben? Nein, nicht da drüben. Irgendwo. Oh, oh, oh.« Als er an uns vorbeiging, riss er eine Schaufensterpuppe um. Gleich darauf hörten wir, wie er auf ihr herumtrampelte. Ein Plastikarm segelte über den Tresen.
Den Schritten nach musste mindestens ein Dutzend seiner Gefährten im Anmarsch sein. Jetzt wäre es an der Zeit gewesen, dass Carl dem Spuk mit seiner Kalaschnikow ein Ende setzte, aber natürlich war das vergebliche Hoffnung: Wir waren auf uns selbst gestellt. Entweder schafften wir es, uns aus dieser Situation herauszumanövrieren und den Weg nach draußen freizukämpfen, oder wir würden sterben. Eine andere Möglichkeit gab es nicht. Ich hatte noch 14 Patronen im Magazin und berechnete, wie immer, unsere Chancen. Eine Patrone würde ich für Janie reservieren, aber das wollte ich mir nicht mal selbst eingestehen. Jedenfalls würde ich nicht
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