Versprechen eines Sommers
Privatdetektiv – irgendetwas über meine Mutter herausgefunden?“
Ja, dachte Olivia. Zum Beispiel warum sie ihre Tochter im Stich gelassen hat.
Philip holte eine ausgedruckte E-Mail hervor. „Vermutlich nichts, was Sie nicht schon wissen. Ende des Jahres 1977 hat Mariska Majesky Avalon verlassen. Sie hat sich einen Reisepass besorgt und ist viel gereist, obwohl sie kein nennenswertes Einkommen hatte. Im März 1978 war sie in Boca Raton, wo sie ein Baby bekam, das sie Jennifer Anastasia nannte. 1982 kehrte sie mit ihrer Tochter zurück nach Avalon, um bei ihren Eltern zu wohnen. Mariska ist weiterhin viel gereist, hat ihre Tochter aber nie mitgenommen.“ Er warf einen Blick auf den Ausdruck. „1983 hat Mariska Avalon wieder verlassen. Dieses Mal ist sie nicht zurückgekehrt, und es gibt keine weiteren Aufzeichnungen über sie. Ihr Pass ist 1988 abgelaufen und wurde nie erneuert.“ Er legte den Bericht auf den Tisch und sah Jenny an. „Wenn Sie möchten, kann ich Rasmussen weitersuchen lassen.“
„Nein, danke“, sagte sie sanft und las den kurzen Bericht noch einmal selber.
Alle waren so still und ruhig, dass Olivia das Eis in den ganz vergessenen Gläsern schmelzen und knacken hören konnte. Endlich räusperte Jenny sich und musterte Philip und Olivia mit vorsichtiger Neugierde. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“
„Das weiß keiner von uns“, erwiderte Olivia. „Ich bin froh, dass wir Sie gefunden haben und Sie gewillt waren, uns zuzuhören. Ich hoffe, dass es Ihnen genauso geht, wenn der Schock etwas nachgelassen hat.“
„Sie müssen nichts Bestimmtes sagen oder fühlen“, ergänzte Philip.
„Gut, denn ich habe keine Ahnung, was ich fühle.“
Doch sie fühlte irgendetwas, das konnte Olivia sehen. Ihre Augen, diese sanften, ehrlichen Augen, die Olivia von Anfang an gemocht hatte, glitzerten vor ungeweinten Tränen.
„Nun, ich bin froh, dich gefunden zu haben.“ Olivia fand es an der Zeit, die Förmlichkeiten aufzugeben. Schließlich waren sie eine Familie. „Ich habe mir immer eine Schwester gewünscht.“ Selber überwältigt von der Situation, schaute sie Jenny genauer an. Waren ihre Nasen gleich? Sahen sie einander auch nur ein bisschen ähnlich? Olivia konnte es nicht sagen. „Ich hoffe, dass wir noch ausreichend Zeit haben, um … um uns kennenzulernen“, sagte sie. „Natürlich nur, wenn du das willst.“
„Äh, sicher.“ Jenny blinzelte, als wenn sie gerade aus einem Traum erwachte. „Ich hätte nie gedacht, dass ich dich jemals treffen würde“, sagte sie zu Philip. „Ich dachte, ich würde nie erfahren, wer du bist.“
Philip berührte ihre Hand. „Es tut mir leid.“
Olivias Herz wurde schwer. Sie konnte sich kaum vorstellen, was Jenny durchgemacht haben musste. Wie schrecklich es gewesen war, von seiner Mutter im Stich gelassen zu werden und seinen Vater nicht zu kennen.
Jenny senkte den Kopf und starrte auf ihre Hände. „Nachdem ich mein ganzes Leben lang in dieser Sache im Dunkeln getappt bin, weiß ich deine Ehrlichkeit wirklich zu schätzen. Ich habe mich immer gefragt, wer du bist“, sagte sie. „Und wie du sein wirst, wenn ich dich jemals treffen sollte.“
„Ich hoffe, dass ich dich nicht enttäuscht habe.“
Endlich löste sich eine einzelne Träne und rann über Jennys Wange. Sie wischte sie mit dem Handrücken fort. Olivia konnte nicht sagen, ob Jenny erfreut oder traurig oder einfach nur überwältigt war. Sie wusste nur, dass sie selber ein Wrack war. Sie war aufgeregt, ihre Halbschwester gefunden zu haben, aber gleichzeitig fühlte sie eine ungewohnte Abwehr in sich. Sicher, sie wollte, dass ihr Vater Jenny kennenlernte, aber … Olivia, du eifersüchtige kleine Hexe, schalt sie sich. Wag es ja nicht, jetzt mit irgendwelchen Geschwisterrivalitäten anzufangen.
„Es wird ein wenig Zeit brauchen“, sagte sie zu Jenny. „Ich hoffe, dass du Lust hast, etwas Zeit mit Dad und mir zu verbringen.“
„Ich denke schon, ja.“
„Hast du heute Abend Zeit für ein Abendessen?“, fragte Philip.
Jenny sah überrumpelt aus. Dann nickte sie. „Aber erst nach neun. Meine Großmutter geht früh zu Bett.“
„Kein Problem für mich“, sagte er. „Wie steht’s mit dir, Olivia?“
Gib dir einen Ruck, dachte sie und setzte ein strahlendes Lächeln auf. Laut sagte sie: „Ich denke, ihr beide solltet alleine gehen. Ich komme dann ein andermal dazu.“
„Olivia …“
„Ist gut, Dad. Wirklich. Ich kenne sogar ein ganz tolles Restaurant
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