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Verstand und Gefühl

Titel: Verstand und Gefühl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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ganz rational begründet, keinesfalls beruhten sie schließlich auf Tatsachen. Sie wurden jedoch zerstreut, zwar nicht durch ihre eigene |253| Gefaßtheit, aber durch Lucys Freundlichkeit, die glaubte, ihr eine schwere Enttäuschung zu bereiten, als sie ihr sagte, daß Edward am Dienstag in Harley Street mit Sicherheit nicht dabeisein würde, und die sogar hoffte, Elinors Kummer darüber noch weiter zu vergrößern, indem sie ihr einzureden versuchte, daß er wegen seiner großen Liebe zu ihr selbst fortblieb, die er nicht verbergen konnte, wenn sie zusammen waren.
    Der so bedeutsame Dienstag kam heran, an dem die beiden jungen Damen dieser furchteinflößenden Schwiegermutter vorgestellt werden sollten.
    »Bedauern Sie mich, Miss Dashwood!« sagte Lucy, als sie zusammen die Treppe hinaufgingen – denn die Middletons kamen so unmittelbar nach Mrs.   Jennings an, daß sie alle zur gleichen Zeit dem Diener folgten   –, »es ist niemand hier, der mit mir fühlen kann außer Ihnen. Wirklich, ich kann mich kaum auf den Beinen halten. Lieber Himmel! In einem Moment werde ich die Person sehen, von der all mein Glück abhängt – die meine Schwiegermutter werden soll.«
    Elinor hätte ihr augenblicklich Erleichterung verschaffen können, indem sie auf die Möglichkeit hingewiesen hätte, daß es eher Miss Mortons Schwiegermutter als die ihre sein würde, die sie nun zu Gesicht bekämen; doch statt dessen versicherte sie Lucy mit großer Aufrichtigkeit, daß sie sie in der Tat bedaure – zu Lucys äußerster Verwunderung, da sie sich zwar selbst wirklich unbehaglich fühlte, doch zumindest hoffte, heftigen Neid bei Elinor hervorzurufen.
    Mrs.   Ferrars war eine kleine dünne Frau, mit einer bis zur Steifheit aufrechten Haltung und einem ernsten, fast verdrießlich zu nennenden Aussehen. Sie hatte eine fahle Haut und ein schmales Gesicht, das ohne jede Schönheit und schon von Natur aus ohne Ausdruck war; doch der glückliche Umstand einer tiefen Falte auf ihrer Stirn hatte ihr Gesicht vor der Schmach bewahrt, geistlos zu erscheinen, da diese starke Eigenschaften, wie die des Stolzes und der Boshaftigkeit, bei ihr vermuten ließ. Sie war keine Frau von vielen Worten, denn anders als die meisten Menschen standen sie bei ihr im |254| richtigen Verhältnis zu der Zahl ihrer Gedanken; und von den wenigen Worten, die ihr tatsächlich entschlüpften, wurde Miss Dashwood nicht ein einziges zuteil, die sie mit dem festen Entschluß musterte, sie unter keinen Umständen zu mögen.
    Dieses Benehmen konnte Elinor jetzt nicht mehr unglücklich machen. Ein paar Monate früher hätte es sie unendlich verletzt; aber es lag nun nicht mehr in Mrs.   Ferrars Macht, sie damit zu peinigen; und der Unterschied in ihrem Verhalten gegenüber den Misses Steele – ein Unterschied, den sie offenbar absichtlich machte, um Elinor noch mehr zu demütigen – amüsierte sie nur. Sie konnte nur lächeln, wenn sie die Liebenswürdigkeit von Mutter und Tochter (denn Lucy wurde von beiden besonders ausgezeichnet) gegenüber gerade der Person sah, die sie vor allen anderen zu verletzen bestrebt gewesen wären, wenn sie nur soviel gewußt hätten wie sie; während sie selbst, die kaum in der Lage war, ihnen eine Kränkung zuzufügen, von beiden unverblümt ignoriert wurde. Doch während sie über eine so unangebrachte Liebenswürdigkeit lächelte, konnte sie nicht an die niedrige Gesinnung und Torheit denken, denen sie entsprang, noch die gesuchten Aufmerksamkeiten beobachten, mit denen die Misses Steele um die beständige Gunst der beiden buhlten, ohne sie alle vier gründlich zu verachten.
    Lucy frohlockte, daß sie so ehrenvoll ausgezeichnet wurde; und Miss Steele wünschte sich nur noch, mit Dr.   Davies geneckt zu werden, um vollkommen glücklich zu sein.
    Es war ein großartiges Dinner, die Diener waren zahlreich, und alles zeugte von der Neigung der Hausherrin, Eindruck zu machen, und den Möglichkeiten des Hausherrn, diese Neigung zu finanzieren. Trotz der Verschönerungen und Zukäufe, die an dem Besitz von Norland vorgenommen wurden, und trotz der Tatsache, daß sein Eigentümer einmal beinahe genötigt gewesen war, Anteile von einigen tausend Pfund mit Verlust zu verkaufen, zeugte nichts von der Mittellosigkeit, die er versucht hatte, daraus abzuleiten; keine Armut irgendwelcher Art war erkennbar – außer bei der Unterhaltung |255| –, doch da waren die Unzulänglichkeiten erheblich. John Dashwood hatte von sich aus nicht viel zu sagen,

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