Verstand und Gefühl
wollte sehr gern wissen, ob Edward nun in der Stadt sei, aber sie gedachte nicht, danach zu fragen. Doch nichts hätte Fanny dazu bewegen können, in ihrer Gegenwart von sich aus seinen Namen zu erwähnen, bevor sie ihr nicht erzählen konnte, daß seine Heirat mit Miss Morton eine beschlossene Sache sei, oder sich die Erwartungen ihres Gatten im Hinblick auf Colonel Brandon erfüllt hatten; denn sie |251| glaubte immer noch, daß die beiden einander so sehr zugetan seien, daß sie nicht beharrlich genug bei jeder Gelegenheit in Wort und Tat getrennt werden konnten. Die Information, die sie nicht geben wollte, bekam Elinor jedoch sehr bald von einer anderen Seite, denn Lucy erschien bei ihr, um ihr Mitgefühl dafür einzufordern, daß sie Edward nicht zu sehen bekäme, obgleich er mit Mr. und Mrs. Dashwood in der Stadt angekommen sei. Er wage nicht, zu Bartlett’s Buildings zu kommen, aus Furcht, entdeckt zu werden, und obgleich ihre gegenseitige Ungeduld, sich zu sehen, nicht in Worte zu fassen sei, könnten sie im Augenblick nichts anderes tun als einander schreiben.
Edward gab ihnen kurze Zeit später selbst die Versicherung, daß er in der Stadt war, indem er zweimal in Berkeley Street vorsprach. Zweimal lag seine Karte auf dem Tisch, als sie von ihren Unternehmungen am Vormittag zurückkamen. Elinor freute sich, daß er gekommen war, und noch mehr, daß sie ihn verpaßt hatte.
Die Dashwoods waren so ungemein begeistert von den Middletons, daß sie, obgleich es nicht ihre Gewohnheit war, überhaupt etwas zu geben, beschlossen, ihnen ein Dinner zu geben, und sie luden sie, bald nachdem sie miteinander bekannt geworden waren, nach Harley Street ein, wo sie für drei Monate ein sehr schönes Haus gemietet hatten. Ihre Schwestern und Mrs. Jennings wurden ebenfalls eingeladen, und John Dashwood war darauf bedacht, sich auch Colonel Brandons Anwesenheit zu sichern, der, stets froh, dort zu sein, wo auch die Misses Dashwood waren, dessen beflissene Höflichkeiten mit einiger Verwunderung, doch mit weit mehr Vergnügen aufnahm. Sie sollten dort Mrs. Ferrars treffen, aber Elinor konnte nicht in Erfahrung bringen, ob ihre Söhne mitkommen würden. Die Erwartung, Mrs. Ferrars zu sehen, reichte jedoch aus, ihr Interesse an der Einladung zu wecken, denn obgleich sie Edwards Mutter jetzt ohne große Besorgnis begegnen konnte, die eine solche Vorstellung einst zu begleiten versprach, und obgleich Elinor ihr jetzt im Hinblick auf ihre Meinung über sie selbst mit vollkommener |252| Gleichgültigkeit entgegentreten konnte, war ihr Wunsch, Mrs. Ferrars zu treffen, und ihre Neugierde, zu erfahren, was für eine Frau sie sei, dennoch so lebhaft wie je.
Das Interesse, mit dem sie so die Gesellschaft erwartete, wurde bald danach auf eher nachdrückliche als angenehme Weise noch erhöht, als sie erfuhr, daß die Misses Steele ebenfalls dabeisein würden.
So sehr hatten sie sich Lady Middleton empfohlen, so angenehm hatten ihre beharrlichen Aufmerksamkeiten sie bei ihr gemacht, daß sie, obwohl Lucy nicht vornehm und ihre Schwester nicht einmal wohlerzogen war, ebenso wie Sir John bereit war, sie einzuladen, ein paar Wochen in Conduit Street zu verbringen; und es kam den Misses Steele, sobald bekannt war, daß auch die Misses Dashwood eingeladen waren, besonders gelegen, daß ihr Besuch ein paar Tage vor der geplanten Gesellschaft beginnen sollte.
Der Anspruch auf Berücksichtigung, den die Misses Steele als die Nichten des Herrn, der viele Jahre lang ihren Bruder in seiner Obhut gehabt hatte, an Mrs. Dashwood haben mochten, hätte wohl kaum viel ausgerichtet, um ihnen einen Platz an ihrer Tafel zu verschaffen; doch als Lady Middletons Gäste mußten sie ihr willkommen sein; und Lucy – die schon lange mit der Familie persönlich bekannt zu werden wünschte, um sich ein besseres Bild von deren Charakteren und ihren eigenen Schwierigkeiten machen zu können und um eine Gelegenheit zu haben, sich ihnen angenehm zu machen – war selten in ihrem Leben glücklicher gewesen als in dem Moment, da sie Mrs. John Dashwoods Karte empfing.
Auf Elinor hatte das eine ganz andere Wirkung. Sie schloß sofort, daß Edward, der ja bei seiner Mutter wohnte, auch mit ihr zusammen zu einer Gesellschaft eingeladen werden mußte, die seine Schwester gab; und ihn nach allem, was gewesen war, zum erstenmal zusammen mit Lucy zu sehen – sie wußte kaum, wie sie das ertragen sollte!
Diese Befürchtungen waren vielleicht nicht so
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