Verstand und Gefühl
darüber äußerte, sie zu treffen; und durch die besondere Freundlichkeit Mrs. Jennings’ ermutigt, verließ Miss Steele ihre eigenen Gefährten für kurze Zeit, um sich ihnen anzuschließen. Mrs. Jennings flüsterte Elinor sogleich zu: »Holen Sie alles aus ihr heraus, meine Liebe. Sie wird Ihnen alles erzählen, wenn Sie danach fragen. Ich kann nicht von Mrs. Clarke fort.«
Es war jedoch ein Glück für Mrs. Jennings’ und auch für |293| Elinors Neugier, daß Miss Steele alles erzählen
wollte
,
ohne
gefragt zu werden, denn andernfalls hätten sie nichts erfahren.
»Ich bin ja so froh, Sie zu treffen«, sagte Miss Steele, während sie vertraulich Elinors Arm ergriff, »denn ich wollte Sie unbedingt sprechen«; und dann mit leiserer Stimme: »Ich nehme an, Mrs. Jennings hat alles erfahren. Ist sie ärgerlich?«
»Auf Sie überhaupt nicht, glaube ich.«
»Das ist gut. Und Lady Middleton, ist
sie
ärgerlich?«
»Das kann ich mir nicht denken.«
»Da bin ich mächtig froh. Du lieber Gott, was habe ich für eine Zeit durchgemacht. Ich habe Lucy noch nie im Leben so rasend gesehen. Sie schwor zuerst, sie würde mir nie wieder einen neuen Hut besetzen und überhaupt nie mehr irgend etwas für mich tun, solange sie lebt; aber jetzt ist sie schon wieder zu sich gekommen, und wir sind wieder so gute Freunde wie immer. Sehen Sie, sie hat mir diese Schleife für meinen Hut gemacht und gestern noch die Feder rangesteckt. Na bitte,
Sie
lachen auch über mich. Aber warum sollte ich keine rosa Bänder am Hut tragen? Es ist mir gleich, ob es wirklich die Lieblingsfarbe von dem Doktor ist. Was mich betrifft, so hätte ich bestimmt nie gewußt, ob er sie überhaupt lieber hat als irgendeine andere Farbe, wenn er es nicht zufällig erwähnt hätte. Meine Verwandten haben mich so damit geärgert! Ich muß sagen, ich weiß dann manchmal wirklich nicht mehr, wo ich hingucken soll.«
Sie war zu einem Thema abgeschweift, zu dem Elinor nichts zu sagen hatte, deshalb hielt sie es für angebracht, wieder zu dem ersten zurückzufinden.
»Aber, Miss Dashwood«, sagte Miss Steele triumphierend, »die Leute können ja reden, soviel sie wollen, daß Mr. Ferrars erklärt, er will Lucy nicht haben, denn so ist das nicht, das kann ich Ihnen versichern; und es ist eine Schande, solche bösartigen Gerüchte zu verbreiten. Was Lucy auch selber darüber denken mag, wissen Sie, es ist nicht die Sache anderer Leute, das für sicher zu halten.«
»Ich habe bisher noch nie gehört, daß jemand so etwas angedeutet hätte, ganz bestimmt nicht«, sagte Elinor.
|294| »Nein, wirklich nicht? Aber es wurde gesagt, ich weiß es sehr wohl, und nicht nur von einem; denn Miss Godby hat Miss Sparks erzählt, daß niemand, der bei Verstand ist, erwarten kann, daß Mr. Ferrars eine Frau wie Miss Morton, mit einem Vermögen von dreißigtausend Pfund, für Lucy Steele aufgeben würde, die überhaupt nichts besitzt; und das hab ich von Miss Sparks selber. Und außerdem hat mein Cousin Richard gesagt, er fürchtet, wenn’s schließlich drauf ankommt, macht sich Mr. Ferrars aus dem Staub; und als sich Edward dann drei Tage lang nicht sehen ließ, wußte ich selber nicht, was ich denken sollte; und im Grunde meines Herzens glaube ich, Lucy gab schon alles verloren; denn wir verließen Ihren Bruder am Mittwoch und haben Edward dann nicht am Donnerstag, nicht am Freitag und nicht am Sonnabend zu Gesicht gekriegt, und wir wußten nicht, was mit ihm geworden war. Einmal dachte Lucy daran, an ihn zu schreiben, aber dann hat sich ihr Stolz dagegen aufgelehnt. Aber heute morgen kam er, grade, als wir aus der Kirche zurück waren; und dann kam alles heraus – wie man am Mittwoch nach ihm geschickt hatte, nach Harley Street zu kommen, und wie seine Mutter und die anderen alle mit ihm geredet haben, und wie er vor ihnen allen erklärt hat, daß er niemand anders als Lucy liebt und daß er niemand anders als Lucy haben will; und wie er so bekümmert war über alles, was vorgefallen war, daß er sich, sobald er das Haus seiner Mutter verlassen hatte, aufs Pferd gesetzt hat und irgendwohin aufs Land geritten ist; und wie er sich absichtlich den ganzen Donnerstag und Freitag in einem Gasthaus aufgehalten hat, um darüber wegzukommen. Und nachdem er immer wieder darüber nachgedacht hatte, sagte er, fand er nun, da er kein Vermögen und auch sonst nichts besaß, daß es sehr rücksichtslos von ihm wäre, Lucy weiter an die Verlobung zu binden, weil es
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