Verstand und Gefühl
kalten und feuchten Tag) in einer Schulter ein leichtes Rheuma verspürte.«
»Aber er sprach von Flanellwesten«, sagte Marianne; »und für mich ist eine Flanellweste unweigerlich mit Schmerzen, |47| Krämpfen, Rheumatismus und all den anderen Arten von Leiden verbunden, von denen die Alten und Schwachen heimgesucht werden können.«
»Hätte er nur ein heftiges Fieber gehabt, du würdest ihn nicht halb so sehr verachten. Gib es zu, Marianne, glühende Wangen, tiefliegende Augen und der rasche Puls hohen Fiebers hätten doch etwas Interessantes für dich, nicht wahr?«
Bald danach, als Elinor das Zimmer verlassen hatte, sagte Marianne: »Was Krankheiten angeht, Mama, beunruhigt mich etwas anderes, das ich dir nicht verschweigen kann. Ich bin sicher, Edward Ferrars geht es nicht gut. Wir sind nun schon fast zwei Wochen hier, und doch kommt er nicht. Für dieses merkwürdige Fernbleiben kann allein wirkliche Unpäßlichkeit der Grund sein. Was sonst kann ihn in Norland zurückhalten?«
»Hast du denn geglaubt, daß er so bald kommen würde?« sagte Mrs. Dashwood. »
Ich
gar nicht. Im Gegenteil, wenn mich überhaupt etwas besorgt gemacht hat, dann war es gerade der Gedanke, daß er manchmal einen Mangel an Freude und Bereitschaft gezeigt hat, meine Einladung anzunehmen, wenn ich von seinem Besuch in Barton sprach. Erwartet Elinor ihn denn schon?«
»Ich habe das ihr gegenüber nie erwähnt, aber natürlich muß sie ihn erwarten.«
»Ich glaube, da irrst du dich, denn als ich gestern mit ihr über einen neuen Kamin für das Gästezimmer sprach, meinte sie, daß es keine direkte Eile hätte, da der Raum wahrscheinlich vorläufig gar nicht gebraucht würde.«
»Das ist wirklich seltsam! Was kann das bedeuten? Aber das ganze Verhalten der beiden zueinander ist unerklärlich! Wie kühl und gelassen sie waren bei ihrem letzten Lebewohl! Und wie schleppend war ihre Unterhaltung am letzten Abend ihres Zusammenseins. Als Edward sich verabschiedete, machte er keinen Unterschied zwischen Elinor und mir – es waren die guten Wünsche eines liebevollen Bruders für beide. Zweimal habe ich sie während des letzten Vormittags absichtlich allein lassen wollen, und jedesmal folgte er mir ganz unerklärlicherweise |48| aus dem Zimmer. Und als wir Norland und Edward verließen, hat Elinor nicht geweint, so wie ich. Selbst jetzt ist ihre Selbstbeherrschung unerschütterlich. Wann ist sie jemals niedergeschlagen oder traurig? Wann versucht sie einmal, Gesellschaft zu meiden oder erscheint darin ruhelos und verdrießlich?«
|49| Kapitel 9
Die Dashwoods hatten sich nun mit leidlicher Behaglichkeit in Barton eingelebt. Das Haus und der Garten mit allem, was sie umgab, waren ihnen nun vertraut geworden; und die alltäglichen Beschäftigungen, die für sie einen großen Teil des Zaubers von Norland ausgemacht hatten, wurden nun wieder mit weit größerer Freude aufgenommen, als es ihnen in Norland seit dem Verlust ihres Vaters möglich gewesen war. Sir John Middleton, der während der ersten zwei Wochen jeden Tag vorbeigekommen war und der von zu Hause den Anblick tätiger Menschen nicht gewohnt war, konnte seine Verwunderung darüber nicht verbergen, daß er sie stets tätig sah.
Ihre Besucher waren, außer denen von Barton Park, nicht zahlreich; denn trotz Sir Johns Drängen, doch mehr mit der Nachbarschaft zu verkehren, und seiner wiederholten Versicherungen, daß ihnen seine Kutsche immer zur Verfügung stehe, gewann Mrs. Dashwoods unabhängige Gesinnung die Oberhand über den Wunsch nach Gesellschaft für ihre Töchter; und sie lehnte entschieden jeden Besuch bei Familien ab, die nicht zu Fuß zu erreichen waren. Es waren nur wenige, die dabei in Frage kamen; und nicht zu allen von ihnen hatte man Zutritt. Etwa anderthalb Meilen von ihrem Haus entfernt, hatten die Mädchen in dem engen, sich windenden Tal von Allenham, das, wie zuvor beschrieben, eine Fortsetzung des Tales von Barton war, bei einem ihrer ersten Spaziergänge ein sehr altes, respektabel aussehendes Herrenhaus entdeckt; und da es sie ein wenig an Norland erinnerte, weckte es ihr Interesse und ließ sie wünschen, es näher kennenzulernen. Doch als sie sich danach erkundigten, erfuhren sie, daß ihre |50| Besitzerin, eine ältere Dame von sehr gutem Ruf, leider zu gebrechlich sei, um mit jemand zu verkehren, und sich niemals aus dem Haus rühre.
Ihre ganze Umgebung war reich an wunderschönen Spazierwegen. Die hohen Hügel, die sie von fast jedem Fenster
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