Verstand und Gefühl
bemerkte, überließ er es den anderen, förmlich anzuklopfen, überquerte den Rasen und nötigte sie, einen Fensterflügel zu öffnen, damit er mit ihr sprechen konnte, obgleich der Abstand zwischen der Tür und dem Fenster so gering war, daß man kaum an der einen Stelle etwas sagen konnte, ohne an der anderen gehört zu werden.
»Nun«, sagte er, »da haben wir Ihnen ein paar Unbekannte mitgebracht. Wie gefallen sie Ihnen?«
»Pst! Man wird Sie hören.«
»Macht nichts. Es sind nur die Palmers. Charlotte ist sehr hübsch, kann ich Ihnen sagen. Sie können sie sehen, wenn Sie hier entlangblicken.«
Da Elinor sie in ein paar Minuten mit Sicherheit zu Gesicht bekommen würde, ohne sich diese Freiheit zu nehmen, lehnte sie das höflich ab.
»Wo ist denn Marianne? Ist sie weggelaufen, weil wir gekommen sind? Ich sehe, daß ihr Klavier offen ist.«
»Ich glaube, sie ist spazierengegangen.«
Nun kam auch Mrs. Jennings zu ihnen heran, da sie nicht Geduld genug hatte zu warten, bis die Tür geöffnet wurde, um zu erzählen, was sich ereignet hatte. Sie kam rufend zum Fenster gelaufen: »Wie geht es Mrs. Dashwood? Und wo sind Ihre Schwestern? Was! Ganz allein? Sie werden froh sein, ein wenig Gesellschaft zu bekommen. Ich habe meinen Schwiegersohn und meine Tochter mitgebracht, sie wollten Sie sehen. Denken Sie nur, sie sind ganz plötzlich gekommen. Als wir gestern abend beim Tee saßen, glaubte ich, eine Kutsche zu hören, aber es ist mir überhaupt nicht in den Sinn gekommen, daß
sie
es sein könnten. Ich dachte nur, daß vielleicht Colonel Brandon zurückgekommen sei; ich sagte also zu Sir |120| John: ›Ich glaube, ich höre eine Kutsche; vielleicht ist es Colonel Brandon, der zurückgekommen ist ... ‹«
Elinor war genötigt, sich mitten in ihrem Bericht von ihr abzuwenden, um die übrigen zu empfangen; Lady Middleton stellte die beiden Fremden vor; zur gleichen Zeit kamen auch Mrs. Dashwood und Margaret herunter, und dann setzten sich alle, um einander zu betrachten, während Mrs. Jennings in Begleitung von Sir John auf ihrem Weg durch den Flur in das Empfangszimmer ihren Bericht fortsetzte.
Mrs. Palmer war mehrere Jahre jünger als Lady Middleton und ihr in jeder Hinsicht vollkommen unähnlich. Sie war klein und drall, hatte ein sehr hübsches Gesicht mit dem angenehmsten Ausdruck von guter Laune, den man sich denken konnte. Ihre Umgangsformen waren keineswegs so vornehm wie die ihrer Schwester, dafür aber viel einnehmender. Sie kam mit einem Lächeln herein – lächelte während ihres ganzen Besuches, außer wenn sie lachte, und lächelte, als sie wieder gingen. Ihr Gatte war ein ernst blickender junger Mann von fünf- oder sechsundzwanzig Jahren, dessen Auftreten mehr Lebensart und Verstand verriet als das seiner Gattin, der aber weniger gewillt schien, zu gefallen oder Gefallen an anderen zu finden. Er betrat das Zimmer mit einem Ausdruck von Selbstgefälligkeit, machte vor den Damen eine leichte Verbeugung, ohne ein Wort zu sagen, und nahm, nachdem er sie und ihre Zimmer kurz begutachtet hatte, eine Zeitung vom Tisch und las darin während seines ganzen Besuches.
Mrs. Palmer, die dagegen von Natur aus das starke Bedürfnis hatte, immer gleichbleibend höflich und glücklich zu sein, hatte kaum Platz genommen, als ihre Bewunderung für das Empfangszimmer und alle Gegenstände darin auch schon hervorbrach.
»Was für ein entzückendes Zimmer das ist! Ich habe noch nie etwas so Reizendes gesehen! Denk nur, Mama, wieviel schöner es geworden ist, seit ich das letzte Mal hier war! Ich habe es immer für ein sehr freundliches Haus gehalten, Ma’am« (sich an Mrs. Dashwood wendend), »aber Sie haben |121| es ja ganz bezaubernd ausgestattet! Sieh nur, Schwester, wie wunderbar alles ist! Wie gern hätte ich ein solches Haus für mich. Du nicht auch, Mr. Palmer?«
Mr. Palmer antwortete nicht und sah nicht einmal von seiner Zeitung auf.
»Mr. Palmer hört mich nicht«, sagte sie lachend. »Das tut er nie, manchmal jedenfalls. Es ist so absurd!«
Das war eine ganz neue Vorstellung für Mrs. Dashwood; sie war es nicht gewohnt, an der Unaufmerksamkeit eines Menschen etwas Witziges zu finden, und sie konnte nicht umhin, die beiden überrascht anzusehen.
Mrs. Jennings redete indessen, so laut sie konnte, weiter und fuhr ohne Pause fort mit ihrem Bericht von der Überraschung am Abend zuvor, als sie ihre Angehörigen erblickte, bis alles erzählt war. Mrs. Palmer
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