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Versteckt wie Anne Frank

Versteckt wie Anne Frank

Titel: Versteckt wie Anne Frank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Prins , Peter Henk Steenhuis
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als hätten sie einen großen Torfvorrat. Auch diese Adresse war nur vorübergehend, weil es dort trotz der Kiste im Torf zu gefährlich wurde.
    Mit dem Zug brachten mich Widerstandsleute, zu denen meine neue Untertauchmutter regen Kontakt hatte, nach Bilthoven. Am Tag meiner Ankunft war es sehr warm, es war irgendwann im August 1943. Ich brauchte mich nicht zu verstecken, meine Untertaucheltern sagten auch nichts von einem Versteck. Im Grunde ließen sie mich im Garten des Hauses, einer richtigen Villa, einfach alles selbst entdecken. Die Familie hatte drei Kinder, zwei Jungen und ein Mädchen, das etwas jünger war als ich. Die Kinder akzeptierten mich sofort, ich durfte gleich mit ihren Rädern und ihrem Roller spielen. Endlich war ich bei einer warmherzigen Familie mit Spielgefährten für mich angelangt.
    Meine neue Untertauchmutter, Zus Boerma-Derksen, gehörte zu einer Widerstandsgruppe, die verschiedene Anschläge auf die Bahnlinie, über die Transporte nach Westerbork gingen, verübt hatte. Als sich herausstellte, dass sich ein Verräter in der Widerstandsgruppe befand, sollte meine Untertauchmutter den Mann erschießen. Das hat sie getan. Danach floh sie, wurde verhaftet und ins Gefängnis gebracht. Später wurde sie wieder freigelassen, weil Zeugen eine Frau Anfang zwanzig beschrieben hatten, während meine Untertauchmutter damals vierunddreißig war. Sie war klein und mager, dadurch sah sie jünger aus, als sie war.
    Gegenüber von uns stand die »Villa mit dem großen Garten«, wie wir sie nannten. Dort wohnte ein hoher deutscher Offizier. Von unserem Haus aus sahen wir, dass dort riesige Feste gefeiert wurden. Männer in Cabriolets fuhren die Auffahrt rauf. Wir lebten in der Höhle des Löwen, hatten aber nie Probleme.
    In Bilthoven gab es viele Untertaucher. Um ihnen zu einem neuen Namen zu verhelfen, hatte der Widerstand dort das Verzeichnis vernichtet, in dem alle Namen der Einwohner Bilthovens aufgelistet waren. Jetzt wusste keiner mehr, wer wo wohnte. Daher mussten sich alle Einwohner melden, um ein neues Einwohnerverzeichnis zu erstellen. Eine ausgezeichnete Gelegenheit, mit einem neuen Namen ein »normaler« Bürger Bilthovens zu werden. Seither hieß ich Ries Boerma und gehörte zur Familie.
    Die Boermas nahmen mich wirklich in ihre Familie auf. Wir machten auch ab und zu Ausflüge, einmal fuhren wir zum Beispiel mit dem Zug nach Woerden. Ich erinnere mich noch, dass wir in Utrecht am Hauptbahnhof umstiegen, von wo die Züge in alle Richtungen fuhren.
    Bei der Befreiung sahen mein Pflegebruder und ich, wie die Kanadier in Bilthoven einzogen. In den Gärten der Villen stellten Soldaten ihre Zelte auf. Wir fanden es großartig, liefen überall herum und genossen das Chaos in den ersten Tagen nach der Befreiung. Auf der Rembrandtlaan war lauter Munition gestapelt, kistenweise. In aller Ruhe habe ich für meine Pflegemutter ein paar Kugeln aussortiert. Händeweise steckte ich sie in meine Hosentasche. Und wir fanden Leuchtmunition der Kanadier. Mein älterer Pflegebruder war technisch ziemlich begabt. Er besaß ein altes Granatenrohr, in das die Leuchtmunition genau passte. Mithilfe eines Nagels und eines Hammers gelang es uns, sie abzuschießen. Ein wunderbares Feuerwerk.
    Meine Mutter hat Auschwitz überlebt. Sie wurde von dort ins Konzentrationslager Liebau gebracht, im heutigen Lettland, wo sie in einer Panzerkettenfabrik arbeiten musste. Das war ihre Rettung. Die Überlebenschancen waren dort viel größer als in Auschwitz. In Liebau wurde sie von den Russen befreit.
    Eines Tages kam der Bruder meiner Mutter und holte mich ab. Es war Pfirsichzeit. Mein Onkel kaufte vier Pfirsiche für meinen Bruder und mich. Die kosteten zehn Gulden, damals sehr viel Geld. Es gab nur wenige Lebensmittel.
    »Guten Tag«, sagte ich höflich, als ich meine Mutter wiedersah. Sie fand es sehr schlimm, dass ich sie nicht erkannte. Am Ende des Tages brachte mein Onkel mich zum Glück zurück nach Bilthoven.
    Anfangs hofften wir, mein Vater wäre noch am Leben. Meine Mutter fuhr sogar nach Staphorst, um etwas über die Zeit zu erfahren, als er dort im Wald arbeiten musste. Sie war auch in Westerbork. Er tauchte auf den Transportlisten oft auf, und später hieß es, dass mein Vater am 28. Februar 1943 in Auschwitz ermordet worden sei. Sie wussten es also nicht genau. Wenn das Datum, an dem jemand ermordet worden war, unbekannt blieb, schrieben sie den letzten Tag des Monats in die Sterbeurkunde. Ich habe nur vage

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