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Versteckt wie Anne Frank

Versteckt wie Anne Frank

Titel: Versteckt wie Anne Frank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Prins , Peter Henk Steenhuis
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orthodoxen jüdischen Mann, dem ein Lebensmittelgeschäft auf dem Waterlooplein gehörte. Er hatte gehört, dass Jungen und Mädchen in Waisenhäusern nicht auf Transport gestellt wurden, weil sie schon genug gestraft waren. Gerüchte dieser Art verbreiteten die Deutschen oft selbst. Über meinen Onkel sind wir dann ins Waisenhaus für Jungen gekommen. Keine Ahnung, wie lange ich dort war. Ich erinnere mich nur an das Fenster in der Tür und an die steile Treppe.
    Am 6. März 1943, an einem Sabbat , haben die Deutschen das Waisenhaus für Jungen natürlich doch geräumt und wir landeten zum zweiten Mal in der Hollandsche Schouwburg. Am Dienstag darauf wurden wir zum Oostelijk Havengebied gebracht, von wo aus viele Transporte nach Westerbork gingen.
    Der Zug stand noch still, mein Bruder und ich suchten sofort nach Fluchtmöglichkeiten. Wir hatten schon in der Toilette nachgesehen, vielleicht würde das gehen. Plötzlich hörten wir eine Stimme: »Wo sind die Jacken? Wo sind die Jacken?« Niemand reagierte. Alle dachten sicherlich, jemand sei auf der Suche nach Jacken. Aber weil meine Mutter ja mit Nachnamen Jas, also Jacke hieß, wussten mein Bruder und ich sofort, dass wir gemeint waren. Ein kleiner Lieferwagen fuhr am Zug vorbei, und aus dem Lieferwagen rief ein Mann immer wieder: »Wo sind die Jacken?« Wir drängten uns zu einer Zugtür, und als der Lieferwagen genau vor unserer Öffnung stand, sprangen wir hinein.
    Es war der Lieferwagen von Herrn Grootkerk, Tante Lenas Nachbar. Er hatte ein Transportunternehmen, Der schnelle Fischer , und musste die Züge beliefern. Grootkerk hatte von Lena gehört, dass wir in dem Zug saßen. Während er seine Arbeit machte, hatte er nach »den Jacken« gesucht. Wir saßen jetzt in einem Auto mit blauer Motorhaube, kein echter Lastwagen, eher eine Art Transporter mit hölzerner Ladefläche. Die Waren für den Zug transportierte Grootkerk vorne auf dem Beifahrersitz. Unter dem Armaturenbrett war viel Platz, und wir mussten uns dort unter eine braune Plane hocken. Wir passten gut darunter. Auf diese Weise hat Grootkerk insgesamt sechzehn Kindern geholfen, aus den Zügen zu entkommen. Die Wächter haben nie etwas gemerkt. Sie kannten Grootkerk und winkten ihm nach, wenn er das Gelände verließ.
    Kurz nach unserer Flucht brachten Studenten der Gruppe Piet Meerburg uns nach Utrecht. Wir wohnten erst im Kellergeschoss eines Hauses, in dem es so dunkel war, dass auch tagsüber Licht brannte. Es gab nur ein kleines Fenster, wenn man dadurch nach draußen schaute, sah man Beine vorbeigehen. Keine Schuhe, keine Oberkörper, nur Beine. Und die sahen wir uns an, den ganzen Tag.
    Danach kamen wir zu älteren Leuten, die dachten, wir seien Kinder aus dem völlig zerstörten Rotterdam. Das große Wohnzimmer ging zur Straße raus. Am Geburtstag von Mussert, dem Mitgründer und Vorsitzenden der NSB , wurde am Seniorenheim gegenüber die NSB -Fahne gehisst. Mein Bruder sagte: »Diese Fahne sollten sie ruhig kaputt schießen.«
    »Warum?«, fragten unsere Gasteltern. »Es ist doch eine schöne Fahne.«
    Ein paar Tage später baten sie meinen Bruder, etwas aus einem Schrank zu holen. In der Schublade sah mein Bruder, der schon lesen konnte, Volk en Vaderland liegen, die Wochenzeitschrift der NSB .
    Ab und zu kam jemand vorbei, um nach uns zu schauen – es war jemand vom Widerstand, was aber nur wir wussten. Mein Bruder erzählte ihm von der Fahne und der Zeitschrift. Unsere Gasteltern waren sehr zurückhaltende Leute und womöglich unterstützten sie die NSB nur als politische Partei, aber der Widerstand fand die Situation doch zu gefährlich. Danach wurden mein Bruder und ich getrennt. Ich wurde bei einer strenggläubigen, evangelischen Familie namens Borg untergebracht, bei der ich jeden Abend vor dem Bett auf dem kalten Linoleum knien und beten musste. Auf meinem Bettrand lag der geflochtene Zopf einer verstorbenen Tochter. Ein wenig eklig fand ich das.
    Einer der Söhne war geistig behindert. Er war ganz versessen auf mich. Sehr wahrscheinlich wussten die Leute, dass sie einen jüdischen Jungen zu sich genommen hatten.
    An meiner nächsten Adresse wussten sie es ganz bestimmt. Sie hatten für mich auf dem Dachboden aus Spanholzplatten eine Kistegebaut. Um die Kiste herum war Torf gestapelt. Sobald geklingelt wurde, jagte man mich auf den Dachboden. Dort hob mich jemand in die Kiste. Sobald ich saß, ging der Deckel zu. Darauf legten sie noch ein paar Torfbriketts. So sah es einfach aus,

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