Versteckt
derselben Stelle. Im hellen Sonnenlicht wirkten ihre Augen fast durchsichtig. Als würde man zwei funkelnde Eiswürfel anstarren.
»Was ist passiert?«
»Nichts.«
»Casey, was geht hier vor?«
Kim kam mit meinem T-Shirt angelaufen. Ich half ihr, es um seine Hand zu wickeln, und zeigte ihr, wo sie auf die Wunde drücken musste.
»Fest«, sagte ich. Dann wandte ich mich wieder Casey zu.
»Ich hab dich was gefragt.«
Sie ließ fast unmerklich die Schultern sinken.
»Ihr könnt mich mal«, sagte sie mit tiefer, verächtlicher Stimme. Sie machte mir Angst.
»Alle beide.«
Sie verschwand hinter dem Felsen. Ich legte meine Hand auf Kims und half ihr, auf Stevens Wunde zu drücken. Dann sah ich zu ihr auf. Sie war völlig auf ihre Aufgabe konzentriert.
Plötzlich bemerkte ich, wie stark ich zitterte.
Ich habe nie herausgefunden, warum sie es tat. Ich vermute, er wollte sich an sie heranmachen. Immerhin war er in der richtigen Stimmung gewesen, um so einen Versuch zu wagen.
Niemand verlor ein Wort darüber.
Wir machten uns auf den Heimweg. Genau wie auf der Hinfahrt saßen die Mädchen auf dem Rücksitz. Sie hatten sich in ihre Handtücher gewickelt. Ich fuhr. Steven hielt seine Hand und drückte mein blutiges T-Shirt auf die Wunde, die später in der Stadt mit sieben Stichen genäht werden musste.
Und die ganze Zeit über sagte niemand ein Wort. Kims Wut auf Casey war fast mit Händen zu greifen. Man konnte ihr keinen Vorwurf machen. Ich war ja selbst stinksauer auf Casey. Egal, was auf dem Felsen vorgefallen war – sie hatte überreagiert, um es mal vorsichtig auszudrücken. Und trotzdem sah ich nur die altbekannte Unbekümmertheit auf ihrem Gesicht. Er hätte eine Gehirnerschütterung davontragen können. Und sie war einfach nur wütend.
Da musste ich mich doch fragen, wie gut ich sie tatsächlich kannte.
Trotz des gemeinsamen Wochenendes wurde ich das ungute Gefühl nicht los, dass sie noch einige Überraschungen für mich in petto hatte. Überraschungen wie die von heute. Wollte ich das wirklich so genau wissen?
Ich setzte die Mädchen zu Hause ab, dann holte ich eine Hose aus meiner Wohnung, half Steven hinein und fuhr ihn zu Dr. Richardson in die Cedar Street. Ich sah zu, wie er die Spritze bekam, wie die Hand genäht und verbunden und wie der Kratzer an seinem Kopf abgetupft und mit einem Heftpflaster verarztet wurde. Und dabei jammerte der gute alte Doc in einem fort darüber, dass es immer schlimmer werde, seit Hoover nicht mehr im Amt war.
Als wir danach durch die Stadt fuhren, ging es Steven wieder besser. Ich brachte ihn zum Sommerhaus seiner Eltern und wartete, bis er langsam den Feldsteinweg hinaufgegangen und hinter der weißen Eingangstür verschwunden war.
Dann sah ich ihn fast eine Woche lang nicht mehr.
Als ich Kim wieder begegnete, war sie immer noch sauer, doch ihre Wut verrauchte zusehends und machte einem gewissen Verständnis für Casey Platz. Wir saßen in einer Nische bei Harmon’s und tranken Coke. Sie hegte ebenfalls den Verdacht, dass Steven sich an Casey herangemacht hatte.
Nicht ganz zu unrecht, fand sie.
»Casey und ich, wir sind uns sehr ähnlich. Es ist, als würden wir beide mit einem großen Schild rumlaufen, auf dem SEX steht. Na ja, das ist eigentlich nicht weiter schlimm. Viele Frauen laufen mit so einem Schild rum. Wir wollen nur unseren Spaß, ein bisschen Vergnügen, geben und nehmen und so. Insofern sind wir die besten Frauen, die es gibt. Besser jedenfalls als so ein vertrockneter Trauerkloß wie Stevens Schwester. Weil wir Liebe geben können, einfach so.
Aber manchmal glaube ich, dass Casey das ausnutzt, verstehst du? Als wäre sie Dynamit und könnte alles wegsprengen, was ihr im Weg steht. Das gefällt mir nicht. Das ist gefährlich. Ich weiß, dass Steven scharf auf sie ist, seit sie Kinder waren. Aber mich will er auch. Und ich bin gut für ihn, mehr oder weniger. Sie nicht.
Vielleicht ist sie gut für dich – keine Ahnung. Aber nicht für Steven. Niemals. Obwohl er es hin und wieder versucht.
Und irgendwie hab ich das Gefühl, dass es auch für sie nicht gut wäre. Worum geht’s hier eigentlich? Um Spaß. Spaß und Zuneigung. Aber nicht für Casey. Bei ihr ist es was anderes, und das ist nicht richtig. Sie tut es um der Eroberung willen. Oder aus Gier.«
8
»Was willst du, Case?«
Wir lagen auf meinem Bett.
»Was ist dir wichtig im Leben?«
Ihr Gesicht war nur wenige Zentimeter von meinem entfernt. Sie ließ mich durch ihre Augen in ihr
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