Verstehen Sie das, Herr Schmidt? (German Edition)
schlechten Umfragewerte als die Agenda 2010?
Die Agenda 2010 spielt durchaus eine Rolle. Aber sie ist nicht der ausschlaggebende Grund.
Ist es nicht furchtbar, mitanzusehen, wie die stolze, große SPD plötzlich so klein wird?
Ich möchte mich dazu nicht äußern.
Was müsste eine Kanzlerin oder ein Herausforderer den Menschen jetzt im Wahlkampf sagen?
Jetzt ist es zu spät. Wir haben tief im September, an dieser Art von Wahlkampf ist nichts mehr zu ändern. Man hätte von beiden Regierungsparteien verlangen können, dass sie klar und deutlich verteidigen, was sie in den letzten vier Jahren gemeinsam getan haben. Aber das geschieht kaum.
Warum eigentlich nicht?
Aus Feigheit vor Meinungsumfragen.
Was hat denn diese Regierung gut gemacht?
Eine ganze Menge. Ich würde umgekehrt fragen: Was hat sie denn eigentlich falsch gemacht?
Man könnte ihren Versuch nennen, Opel zu retten. Oder die Abwrackprämie und die Gesundheitsreform.
Opel: einverstanden. Abwrackprämie: einverstanden. Gesundheitsreform: nicht einverstanden – aber das kann ich nicht ausreichend beurteilen. Abwrackprämie und Opel sind jedoch bereits Beiträge zum Wahlkampf gewesen.
War die Rettungsaktion nach Ausbruch der Krise gut?
Es wird Sie wundern, was für ein Wort ich jetzt benutze: Die ökonomische Rettungsaktion nach dem Bankenkrach in New York, der die Welt mit der Gefahr einer Weltdepression konfrontiert hatte, durch das Team Merkel und Steinbrück war hervorragend. Diese beiden Personen haben ihre Sache so erstklassig und glaubwürdig gemacht, dass die Deutschen erstmals nicht mit ansteckender Angst reagiert haben. Es ist ein Fehler der Journalisten, das nicht zu konstatieren.
Aber wie können sie mit der Schuldenlast fertig werden?
Das ist ein wichtiges Thema, besonders weil eine der beiden Volksparteien allen Ernstes davon redet, in der nächsten Legislaturperiode die Steuern senken zu wollen. Das ist Unfug – und sollte der Opposition eigentlich eine Menge Munition liefern.
Die andere Regierungspartei behauptet, sie wolle die Reichen stärker besteuern. Ist das nicht auch Unfug?
Kommt darauf an, was wirklich im Detail gemeint ist. Unter Adenauer, Erhard, Kiesinger, Brandt und Schmidt wurden die Reichen in Deutschland stärker besteuert als heute. Und damit sind wir sehr gut gefahren. Es ist also kein Unfug, die Wohlhabenden stärker zu besteuern. Wenn man es aber so macht, dass sie ihr Vermögen mit ziemlicher Leichtigkeit in die Schweiz oder nach Liechtenstein verlagern können, dann hat man es nicht gut gemacht. Steinbrück hat sich mit scharfen Worten an die Regierungen dieser kleinen Staaten gewandt. Jetzt sind die Schweiz und Liechtenstein dabei, einzuknicken. Gott sei Dank, das ist ein großer Fortschritt!
Trotzdem: Wie werden wir mit den Schulden fertig?
Jedenfalls nicht durch Steuersenkungen und auch nicht notwendigerweise durch Steuererhöhungen. Sondern durch den Ablauf der Zeit.
Das heißt durch Inflation?
Wir haben über längere Zeiträume hinweg immer eine schleichende Entwertung der Kaufkraft unserer Währung gehabt. Zwar hat sich die D-Mark in den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren hervorragend bewährt, und der Euro bewährt sich deutlich besser als der Dollar – wir erwarten Währungsstabilität nach außen und nach innen. Dass aber auch der Euro über längere Zeit an Kaufkraft verlieren wird, das zeigt die Geschichte seit Jesus Christus.
Sie meinen, wir machen uns zu viele Gedanken über das Ausmaß der Schulden?
Ja, weil es in der Politik und im Journalismus Leute gibt, die immer etwas kritisieren müssen, taucht die Schuldenlast in Reden und Leitartikeln auf. So macht man den Leuten mehr Angst als nötig. Die Ökonomen auf der ganzen Welt, sofern sie vernünftig sind, haben sich längst damit abgefunden, dass eine Kaufkraftentwertung von zwei Prozent pro Jahr normal ist.
Was hat die erste Große Koalition unter Kiesinger von der heutigen unterschieden?
Die erste Große Koalition wurde von Personen gebildet, die sich noch kurz zuvor tief misstraut hatten: Kiesinger war ein ehemaliger Nazi, Wehner ein ehemaliger Kommunist. Und diese beiden waren die Eckpfeiler der Koalition! Das ist eine psychologische Hürde sondergleichen gewesen. Dagegen war es kein großes Kunststück, die zweite Große Koalition zu bilden. Sie war geboten – und damit Schluss.
In den USA schmähen Konservative und Rechtsradikale Präsident Obama wahlweise als Sozialisten oder Faschisten und werfen ihm Rassismus vor.
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