Verstehen Sie das, Herr Schmidt? (German Edition)
Großmächte rund um Afghanistan sind heilfroh darüber, dass die Amerikaner da Krieg führen. Die Amerikaner ihrerseits machen überhaupt keine Anstrengungen, die anderen Großmächte für irgendeine Lösung zu gewinnen, die es ihnen erlaubte, sich aus Afghanistan zurückzuziehen.
Über die USA berichten deutsche Medien traditionell viel.
Stimmt, aber auch hier gibt es Defizite: Es fehlt zum Beispiel an einer Analyse der US-Politik gegenüber Staaten wie Kolumbien, Venezuela, Nicaragua oder Panama.
Rechnen Sie mit einer Renationalisierung der amerikanischen Politik?
Ich würde von einer Reorientierung auf die innere Politik sprechen. Die USA werden ungefähr in der Mitte dieses Jahrhunderts begreifen, dass es nicht die Hauptaufgabe ihrer Politik ist, die Welt in Ordnung zu halten, sondern dass es für sie das Wichtigste ist, die Bedürfnisse der afro- und latinoamerikanischen Mehrheit ihres Wahlvolks sozial zu befriedigen.
Und wer spielt dann Weltpolizei?
In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts wahrscheinlich keiner mehr. Vorher allerdings kann es durchaus noch einmal einen Aufschwung des Größenwahns geben – wenn zum Beispiel in zwei Jahren ein rechter Republikaner Präsident der USA wird, der meint, endlich mal Ernst machen zu müssen mit den Drohungen gegen Iran.
Ist es gut oder schlecht für die Welt, wenn es keinen dominanten außenpolitischen Akteur mehr gibt?
Es ist wahrscheinlich weniger gefährlich für die Welt als etwa die Kubakrise des Jahres 1962. Ich denke, die Welt als Ganzes wird weniger unsicher sein, wenn es keinen dominierenden Staat mehr gibt.
Wie werden die Kräfte dann verteilt sein?
Ich kann mir ein ökonomisches Gleichgewicht vorstellen zwischen China, Nordamerika und der Europäischen Union. Und ich kann mir vorstellen, dass es drei große Währungen geben wird: den chinesischen Renminbi, den Dollar und den Euro. Die USA werden eine Großmacht bleiben, die Vitalität der amerikanischen Nation ist groß. Aber es ist unwahrscheinlich, dass die Amerikaner im Jahr 2050 immer noch versuchen werden, überall auf der Welt ihren Willen durchzusetzen.
Fürchten Sie, dass die Deutschen eines Tages wieder Freude an militärischen Einsätzen empfinden könnten?
Diese Gefahr ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Sie mag klein sein, aber wenn die Deutschen jetzt eine Berufsarmee mit 180 000 Mann aufbauen, dann muss man sich fragen: Was sollen die eigentlich verteidigen, und gegen wen? Da ist eine der schlagkräftigsten Armeen der Welt im Entstehen. Ein Dritter, zum Beispiel in Washington, könnte relativ leicht auf die Idee kommen: Die können wir doch für Interventionen einsetzen! Und dann wird wieder an die Bündnistreue der Deutschen appelliert: Wir haben euch mit dem Marshallplan geholfen, jetzt müsst ihr uns in Belutschistan helfen.
Immerhin geben Sie die Europäer nicht verloren.
Nein, das nicht. Aber sie haben praktisch seit dem Vertrag von Maastricht 1991/92 nur noch eine Sache fertiggebracht: den Euro. Es gelten, trotz der Erweiterung, immer noch die alten Spielregeln; es gibt keine gemeinsame Wirtschafts-, Finanz- oder Steuerpolitik.
Wie erklären Sie sich das?
Die europäischen Regierungen haben nicht verstanden, dass eine gemeinsame Währung allein nur im Glücksfall für Wohlstand sorgen kann. Und jetzt streiten sie sich stundenlang darüber, ob man so armen Kerlen wie den Griechen, den Portugiesen, den Iren mit Geld helfen soll oder mit Bürgschaften – oder ob man ihnen lieber raten soll, Konkurs zu machen. Das ist übrigens auch so etwas, was keiner schreibt: Wenn Griechenland gerettet wird, steht das Interesse der deutschen, englischen und französischen Banken dahinter. Das ist die notwendige Analyse: Die Griechen sind nicht in der Lage, ihre Anleihen zu bedienen. Und wer leidet darunter? Die ausländischen Banken, die ihnen das Geld geliehen haben!
Aber das steht doch ständig in den Zeitungen, auch in den deutschen …
Hier und da vielleicht, im Wirtschaftsteil. Aber man muss sich zum Beispiel auch fragen: Wie kommt es eigentlich, dass niemand gemerkt hat, dass die Griechen sich über Gebühr verschuldet haben? Wer trägt dafür die Verantwortung? Ich glaube, zunächst einmal die Europäische Kommission. Und das Europäische Parlament. Das ist ein Stichwort für mich: Über Debatten des Europäischen Parlaments berichten die deutschen Medien überhaupt nicht!
Weil sie auf wenig Interesse stoßen …
… das ist auch die Schuld des Europäischen Parlaments,
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