Verstohlene Kuesse
Sie hatte sich viel zu viele Sorgen wegen seiner Pläne für den Rest der Nacht gemacht.
Aber in dem Moment, in dem Edison verschwunden war, war Basil aufgetaucht, und Lady Exbridge hatte sie gedrängt, dass sie mit ihm auf die Tanzfläche zurückkehrte.
Victoria zufriedenzustellen, war wirklich keine leichte Aufgabe, dachte Emma, während sie sich durch das Gedränge schob. In der kurzen Zeit, die sie bisher mit ihr verbracht hatte, hatte sie erfahren müssen, dass ihre Kleider nicht nur zu tief ausgeschnitten waren, sondern dass sie auch viel zu viele Rüschen aufwiesen. Außerdem hatte sie gelernt, dass das Grün, das Letty für den Großteil ihrer Garderobe ausgewählt hatte, nicht angemessen war, und dass sie zusammen mit Lady Mayfield allzu vielen Einladungen von den falschen Leuten Folge geleistet hatte.
Alles in allem, dachte Emma, war sie wirklich froh, dass sie nicht das Pech gehabt hatte, bei Victoria als Gesellschafterin angestellt zu sein. Sie hatte keinen Zweifel daran, dass Lady Exbridge eine mindestens ebenso anstrengende Arbeitgeberin wie ihr Enkel war.
Ein livrierter Page ging mit einem schwer beladenen Tablett an ihr vorbei. Emma nahm sich ein Glas Limonade, blieb unter einer eingetopften Palme stehen, und leerte es in einem Zug. Tanzen machte durstig.
Ebenso wie die stete Sorge um Edison. Sie blickte aus dem Fenster in die Dunkelheit. Er war irgendwo dort draußen in der Hoffnung, dass sich der Vanzakämpfer aus der Reserve locken ließ. Sie war immer noch böse, weil er ohne sie gegangen war.
Gerade, als sie einen Platz für ihr leeres Glas suchte, drang plötzlich zwischen den Zweigen der Palme hindurch Victorias Stimme an ihr Ohr.
»Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden, Rosemary. Miss Greyson eine Mörderin? Vollkommen absurd.«
Emma blieb wie angewurzelt stehen.
»Sie haben doch sicher gehört, dass Crane erschossen in ihrem Schlafzimmer aufgefunden worden ist«, erklärte die Bekannte namens Rosemary.
»Ich versichere Ihnen«, schnauzte Victoria, »falls die Verlobte meines Enkels diesen Chilton Crane tatsächlich erschossen haben sollte, hatte er es ganz gewiss verdient.« Rosemary rang schockiert nach Luft. »Sie scherzen, Victoria. Immerhin sprechen wir hier von dem Mord an einem Gentleman.«
»Ach wirklich?« Victorias Stimme drückte kühle Überraschung aus. »Wenn das wahr ist, dann war der Mord wirklich etwas ganz Besonderes. Schließlich gibt es kaum einen wahren Gentleman, und da wäre es wirklich mehr als bedauerlich, würde diese bescheidene Zahl auch nur um einen einzigen dezimiert. Trotzdem glaube ich nicht, dass es in diesem Fall auch nur den geringsten Grund zur Sorge gibt.«
»Wie in aller Welt können Sie so etwas sagen?«, fragte Rosemary empört.
»Nach allem, was ich gehört habe, war dieser Chilton Crane alles andere als ein Gentleman, und somit ist sein Tod für niemanden ein großer Verlust.«
Es folgte eine kurze, überraschte Pause, ehe Rosemary plötzlich ihre Taktik änderte. »Ich muss zugeben, dass es mich überrascht hat zu sehen, dass Sie der Wahl Ihres Enkels in Bezug auf seine Braut so einfach zugestimmt haben. Selbst wenn man die Tatsache außer Acht lässt, dass ihr Name mit einem Mordfall in Verbindung steht, gibt es immer noch zu bedenken, was sie früher einmal war.«
»Was sie früher einmal war?«, fragte Victoria verständnislos.
Rosemary sah eine Chance. »Himmel. Hat Ihnen etwa niemand erzählt, dass Miss Greyson ihren Lebensunterhalt bis zur Nacht ihrer Verlobung mit Ihrem Enkel als bezahlte Gesellschafterin bestritten hat?«
»Und was ist damit?«
»Ich hätte gedacht, dass Ihnen als Frau ihres Enkels ein Mädchen aus besseren Verhältnissen vorschwebt. Ein Mädchen mit Geld aus einer angesehenen Familie.«
»Was mir vorschwebt«, sagte Victoria in strengem Ton, »ist genau das, was ich bekommen habe. Eine Frau, die allen Anzeichen nach in der Lage sein wird, meinem Enkel bei der Auffrischung des Stammbaums behilflich zu sein.«
»Wie bitte?«
»Wissen Sie, Familienstammbäume sind nicht viel anders als die Stammbäume von Pferden. Wenn man starke, robuste Nachkommen haben will, braucht man eine willensstarke, intelligente Frau. Ebenso wie man eine willensstarke, intelligente Stute braucht.«
»Ich kann einfach nicht glauben -«
»Sehen Sie sich doch mal um«, schlug Victoria vor. »Finden Sie es nicht auch bedauerlich, dass so viele Familien der sogenannten besseren Gesellschaft so jämmerliche Nachkommen haben? Schlechte
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