Verstohlene Kuesse
den Ausgang der nebelumwaberten Gasse zu, ohne sich umzudrehen und zu sehen, ob John diesem Befehl auch Folge leistete.
Der Nebel hatte sich gelichtet, als Edison, John im Schlepptau, an den Hafen kam. Das kalte Licht des Mondes fiel auf die Schiffe, die dort leise auf dem Wasser schaukelten. Der vertraute Gestank der Themse hing bleischwer in der Luft.
Sie hatten unterwegs einmal kurz Halt gemacht und Johns bescheidene weltlichen Besitztümer aus einem schäbigen kleinen Zimmer über einer Taverne geholt.
»Ich verstehe nicht.« John rückte sein Bündel auf seiner Schulter zurecht und starrte verwundert an den knarrenden Masten der Sarah Jane hinauf.
»Weshalb sind wir hierher gekommen?«
»Auch wenn Sie mir hin und wieder ein wenig lästig waren, John, haben Sie es geschafft, mich davon zu über zeugen, dass es Ihnen ernst ist mit Ihren Vanzastudien. Ich nehme an, Sie haben es sich im Verlauf der letzten Stunde nicht plötzlich anders überlegt?«
»Anders überlegt? Mit meinen Vanzastudien! Niemals. Auch wenn ich heute Nacht versagt habe, werde ich die Suche nach dem Gleichgewicht, das wahres Wissen bringt, nie aufgeben.«
»Hervorragend.« Edison klopfte ihm auf die Schulter. »Denn ich werde Ihnen die Chance geben, die Vanzaphilosophie so zu studieren, wie man sie studieren soll. In den Gartentempeln von Vanzagara, wo noch die reine Lehre herrscht.«
»Vanzagara?« John wirbelte so schnell herum, dass er beinahe sein Bündel fallen gelassen hätte. Die Laterne, die er trug, erhellte sein verwundertes Gesicht. »Aber das kann unmöglich sein. Vanza liegt in einem anderen Teil der Welt. Ist es nicht genug, dass Sie mich besiegt haben? Müssen Sie sich jetzt auch noch über mich lustig machen, Sir?«
»Die Sarah Jane ist eins von meinen Schiffen. Sie segelt bei Anbruch der Dämmerung in Richtung Ferner Osten los. Einer der Häfen, den sie anläuft, ist Vanzagara. Ich gebe Ihnen ein Schreiben für einen Mönch namens Vora mit. Er ist ein Mann von großer Weisheit. Er wird dafür sorgen, dass man Sie die wahre Philosophie des Vanza lehren wird.«
Immer noch wagte John kaum zu glauben, was er da vernahm. »Sie meinen es tatsächlich ernst.«
»Und ob.«
»Weshalb sollten Sie so etwas für mich tun? Sie schulden mir nichts. Ich habe Ihnen noch nicht einmal verraten, was Sie wissen wollten, nämlich den Namen meines Meisters.«
»Ihres ehemaligen Meisters«, verbesserte Edison. »Und Sie irren sich, ich schulde Ihnen etwas. Sie haben mich an jemanden erinnert, den ich kannte, als ich noch viel jünger war.«
»An wen?«
»An mich.«
Edison geleitete den glücklichen John an Bord der Sarah Jane , informierte den Kapitän, dass er seinen neuen Passagier in Vanzagara von Bord gehen lassen sollte, und kehrte dann noch einmal in die elende kleine Kammer die John Stoner während des letzten Jahres sein Zuhause genannt hatte, zurück.
Das winzige Zimmer war so gut wie leer, doch die Überreste von Johns letzter Meditationskerze lagen in einem Teller auf dem wackeligen Tisch. Edison hatte sie, als er mit John zusammen eingetreten war, bemerkt, aber nichts dazu gesagt. Er durchquerte das kleine Zimmer und hob seine Laterne über die kalten, geschmolzenen Wachsstücke. Edison hob eins der dunkelroten Stücke an seine Nase und atmete tief ein.
Um den Meister zu erkennen, sieh dir die Kerzen seines Schülers an.
Wenn er den Mann gefunden hätte, der John die leuchtend roten Kerzen gegeben hatte, hätte er den falschen Meister ausfindig gemacht.
27. Kapitel
»Dann haben Sie es also geschafft, den Exbridge-Drachen für sich einzunehmen.« Basil grinste, als er mit Emma am Rand der Tanzfläche zum Stehen kam. »Meine Gratulation, Miss Greyson. Sie scheinen eine wahre Zauberin zu sein.«
»Unsinn.« Emma blickte in Richtung von Victoria, die angeregt mit zwei Frauen, die offenbar alte Freundinnen waren, plauderte. »Lady Exbridge war so freundlich mich einzuladen, bis zum Termin der Hochzeit bei ihr zu wohnen.«
Basil bedachte Emma mit einem nachdenklichen Blick. »Bis heute Abend hätte niemand von uns jemals geglaubt, dass der alte Drachen die Braut seines Enkelsohnes je auch nur eines Blickes würdigen würde.«
Emma reckte das Kinn. »Immerhin ist sie seine Großmutter, Sir.«
Ohne auf eine Antwort von ihm zu warten, drehte sie sich herum und ließ ihn einfach stehen. Sie hatte sowieso nicht mit ihm tanzen wollen, dachte sie. Sie hatte mit niemandem tanzen wollen, nachdem Edison gegangen war.
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