Verstohlene Kuesse
Gesundheit, eine bedauernswerte Leidenschaft für das Kartenspiel, eine schändliche Neigung zur Lasterhaftigkeit. Unserer Familie wird dieses traurige Schicksal dank meines Enkels und seiner Braut erspart bleiben.«
Emma konnte sich zurückhalten, bis sie zusammen mit Victoria auf dem Weg nach Hause war. Als die von den beiden kräftigen Detektiven beschützte Kutsche jedoch losrumpelte, blickte sie Lady Exbridge an.
»Auffrischung des Stammbaums?«, murmelte sie.
Victoria zog, genauso wie Edison das sonst tat, die Brauen hoch. »Dann haben Sie das Gespräch also mit angehört?«
»Es ist schade, dass Edison nicht in der Nähe war. Ihn hätte das, was Sie gesagt haben, sicher köstlich amüsiert.« Victoria drehte den Kopf und blickte zum Fenster hinaus.
Ihre Miene war reglos und ihre Schultern straff gespannt. »Bestimmt.«
Kurzes Schweigen senkte sich über den Fahrgastraum. Emma blickte auf Victorias Hände, die fest ineinander verschränkt im Schoß der alten Dame lagen.
»Es war sehr freundlich von Ihnen, ihm in dieser ganzen Sache behilflich zu sein, Madam«, sagte sie ruhig. »Es ist ihm sehr wichtig, weil er meint, dass er seinem Freund Mr. Lorring ebenso wie den Mönchen von Vanzagara zu großem Dank verpflichtet ist.«
»Wie eigenartig.«
»Das mag sein. Trotzdem hat er sich vorgenommen, den Schurken ausfindig zu machen, der das Buch und das Rezept für das Elixier gestohlen hat. Und nach dem, was heute vorgefallen ist, konnte er sich an niemanden wenden außer an Sie.«
»Erstaunlich.« Immer noch blickte Victoria in die Dunkelheit hinaus. »Bisher hat Edison noch nie meiner Hilfe bedurft.«
»Oh doch, das hätte er. Die Sache ist die, er wusste einfach nicht, wie er hätte darum bitten sollen. Und so Leid es mir tut, das sagen zu müssen, haben Sie ihm Ihre Hilfe bisher anscheinend auch nicht gerade aufgedrängt.«
Victorias Kopf fuhr herum, und sie bedachte Emma mit einem durchdringenden und zugleich eigenartig traurigen Blick. »Was wollen Sie damit sagen?«
»Wie ich schon sagte, Sie beide sind gleichermaßen starrsinnig und stolz.« Emma setzte ein loses Lächeln auf. »Zweifellos zwei der Dinge, die man durch Vererbung an seine Nachkommen weitergibt.«
Victoria presste die Lippen aufeinander, und Emma machte sich auf einen Rüffel gefasst.
»Lieben Sie meinen Enkel?«, fragte Victoria sie stattdessen mit einem Mal.
Nun war die Reihe an Emma, starr aus dem Fenster in die Dunkelheit zu sehen. »Ein Bekannter hat mich erst kürzlich daran erinnert, wie unklug es ist, wenn man sich in seinen Arbeitgeber verliebt.«
»Das ist keine Antwort auf meine Frage.«
Emma sah sie an. »Nein, ich glaube, nicht.«
Victoria blickte ihr prüfend ins Gesicht. »Sie lieben ihn.«
»Machen Sie sich darüber keine Gedanken, Madam. Ich versichere Ihnen, ich werde nicht den Fehler machen, mir einzubilden, dass meine Liebe von ihm erwidert wird.« Emma stieß einen abgrundtiefen Seufzer aus. »Wissen Sie, durch falsche Hoffnungen haben sich bereits viele Menschen in ihr Elend gestürzt.«
Es dämmerte noch nicht, als Emma das leise Klirren am Fenster ihres Schlafzimmers vernahm. Immer noch war sie hellwach. Seit sie ins Bett gegangen war, hatten zahllose wirre Gedanken sie geplagt. Sie wartete auf irgendetwas, ohne dass sie gewusst hätte, worauf.
Ping, ping, ping.
Regen, dachte sie. Aber das machte keinen Sinn. Immer noch warf der Mond ein silbriges Band auf den Teppich ihres Zimmers, das sie seit zwei Stunden reglos betrachtete.
Ping, ping, ping.
Nicht Regen, sondern kleine Kiesel, merkte sie.
»Edison.«
Sie kletterte eilig aus dem Bett, griff nach ihrem Morgenmantel, stürzte ans Fenster, riss es auf, beugte sich hinaus und blickte in den Hof hinab.
Edison stand direkt unter ihr. Seinen Mantel hatte er sich über den Arm gehängt. Seine Krawatte hing ihm lose um den Hals, und er trug keine Kopfbedeckung. Das Licht des Mondes hüllte ihn in kalte Schatten ein, während er in Richtung ihres Fenster sah.
»Ist alles in Ordnung?«, rief sie ihm leise zu.
»Ja, natürlich. Kommen Sie runter in den Wintergarten. Ich muss mit Ihnen reden«, antwortete er.
Irgendetwas stimmte nicht. Sie hörte es deutlich seiner Stimme an.
»Ich bin sofort da.«
Sie schloss das Fenster wieder, knotete den Gürtel ihres Morgenmantels zu, trat an den Tisch und zündete eine Kerze an.
Sie öffnete die Tür, trat in den Flur, schlich auf Zehenspitzen an Victorias Schlafzimmer vorbei und ging lautlos über
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