Verstohlene Kuesse
ihren neuen Posten lange genug zu behalten, um tatsächlich den ganzen Lohn zu bekommen, hätte sie genug Geld, um ein kleines Haus für sich und Daphne mieten zu können. Und wenn sie sorgsam plante, hätte sie vielleicht noch etwas übrig, was sich in ein weiteres Schiff investieren ließ.
Oh nein . Bestimmt nicht noch mal in ein Schiff, versprach sie sich. Dieses Mal würde sie in irgendetwas anderes investieren. Vielleicht in die Beteiligung am Bau eines Mietshauses. Zumindest in ein Projekt, das sie aus der Nähe verfolgen konnte, nichts, was einfach spurlos verschwand.
Sie würde Daphne von Mrs. Osgoods Schule für junge Damen nehmen, sobald sie das Geld in den Händen hielte, dachte sie.
Ihre Finger umklammerten das Kissen, auf dem sie saß. All ihre Träume hingen davon ab, dass sie ihren Posten als Edison Stokes' Verlobte lange genug behielt, erinnerte sie sich. Sie durfte diese Anstellung also keinesfalls in Gefahr bringen. Es war wichtig, dass sie dementsprechend professionell zu Werke ging.
Mit der, wie sie dachte, für ihn typischen Effizienz hatte Edison die Frage ihrer Unterkunft bereits mit Letty geklärt, und wie er vorhergesagt hatte, hatte der Gedanke, Emma in die Gesellschaft einzuführen, spontane Begeisterung in Lady Mayfield geweckt. Es war klar, dass sie das Vorhaben als wunderbare neue Form der Unterhaltung einstufte.
»Als Erstes müssen wir dafür sorgen, dass Sie endlich aus diesen langweiligen Kleidern herauskommen«, hatte Letty festgestellt. »Sie brauchen etwas tiefer Ausgeschnittenes. Meine Schneiderin wird wissen, wie man Ihren Busen möglichst vorteilhaft zur Geltung bringt.«
Eins war sicher, dachte Emma, während sie geistesabwesend die Kutschen betrachtete. Es durfte keine weiteren heißen Umarmungen oder leidenschaftlichen Küsse geben - zwischen ihr und ihrem neuen Arbeitgeber. So etwas endete unweigerlich in einer Katastrophe. Einen derartigen Fehler würde sie nicht machen, schwor sie sich. Egal, wie sehr sich ihr Puls beschleunigte, sobald Edison auch nur in ihrer Nähe war.
»Miss Greyson«, sagte Basil Ware, als er die Bibliothek betrat. »Ich dachte mir, dass ich Sie hier finden würde.«
Emma fuhr überrascht zusammen, drehte sich um und setzte ein höfliches Lächeln auf.
»Guten Tag, Mr. Ware.«
Er bedachte sie mit einem besorgten Blick. »Wie ich hörte, reisen Sie heute wie die meisten meiner Gäste ab.«
»Ja. Mein, äh, Verlobter ist der Ansicht, wir sollten in die Stadt zurückkehren.« Sie müsste es sich abgewöhnen, ständig zu stottern, wenn sie das Wort Verlobter sagte, dachte sie. »Er hat gesagt, dass er ein paar dringende Geschäfte zu erledigen hat.«
Basil verzog traurig das Gesicht. »Am besten rede ich nicht lange drum herum, Miss Greyson«, sagte er. »Mir ist klar, dass die plötzliche Bekanntgabe Ihrer Verlobung in Ihrem Leben zu gewissen, sagen wir, Komplikationen führen wird.«
Das war sicher noch milde ausgedrückt. Trotzdem behielt Emma ihr Lächeln bei. Sie wurde dafür bezahlt, dass sie eine Rolle spielte, also würde sie sie so gut spielen, wie es ihr möglich war. »Ich verstehe nicht, was Sie damit sagen wollen, Sir.«
»Also bitte, Miss Greyson, ich weiß genau, warum und wie Sie in diese schwierige Lage gekommen sind.«
Sie runzelte verwirrt die Stirn. »Ich wüsste nicht, was an meiner Lage schwierig sein sollte.«
»Dann machen Sie sich besser auf eine böse Überraschung gefasst, Miss Greyson.«
»Ich habe immer noch keine Ahnung, wovon Sie sprechen, Sir«, beharrte sie steif.
»Ich glaube, Sie verstehen mich durchaus. Sie sind eine intelligente Frau, Miss Greyson. Ihnen muss klar sein, in welch prekärer Situation Sie sich befinden.«
Unter Aufbietung all ihrer Willenskraft setzte sie eine verständnislose Miene auf. »Was wollen Sie damit sagen, Sir?«
Basil trat an eins der Fenster und blickte mit düsterer Miene auf das rege Treiben unten im Hof. »Sie alle drängen nach London zurück wie die Bienen in den Bienenstock. Jeder von ihnen hofft, dass er der Erste ist, der den anderen von Cranes Ermordung und Stokes' überraschender Verlobung berichten kann.«
»Die Mitglieder der sogenannten besseren Gesellschaft haben schon immer eine Vorliebe für Klatsch und Tratsch gehabt«, sagte sie in möglichst neutralem Ton.
»Das stimmt.« Er wandte leicht den Kopf und bedachte sie mit einem mitleidigen und zugleich reumütigen Blick. »Ich gebe mir selbst die Schuld an Ihrer unglücklichen Situation. Wäre ich ein
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