Verstohlene Kuesse
machen können, meine Liebe.
Sei unbesorgt. Die Aussicht darauf, dass wir beide bald endlich unsere schrecklichen Arbeitsstellen verlassen können, ist jedes Risiko wert.
Ich kann es nicht erwarten, dass all dies endlich vorüber ist, Liebste. In spätestens einem Monat werde ich bei Dir sein, und dann sehen wir uns zusammen nach einem Häuschen um.
Für immer und ewig Deine
S.
PS. Dieses Taschentuch habe ich als Geschenk für Dich bestickt. Es ist für Deine Sammlung seltener Blüten bestimmt. Wenn wir erst unser eigenes Häuschen haben, wirst Du endlich Deinen eigenen, richtigen Garten anlegen können.
Emma starrte reglos auf den Brief, bis der Klang von Stimmen draußen im Flur sie aus ihrer Betäubung riss. Polly kam mit einem der Pagen zurück.
Sie raffte ihre Röcke und stopfte eilig den Brief, das Taschentuch und die Geldscheine in die Taschen, die sie unter dem schweren grauen Stoff des Reisekleides trug, und ließ ihre Röcke gerade rechtzeitig wieder sinken, ehe Polly, gefolgt von einem kräftigen Hausdiener, im Türrahmen erschien.
»Albert wird Ihnen Ihre Truhe runter tragen, Miss Greyson. Übrigens, Mrs. Gatten sagt, Sie dürfen das Bild sehr gerne mitnehmen.«
Emma räusperte sich. »Bitte sag ihr, dass ich ihre Freundlichkeit zu schätzen weiß.«
Eins war sicher, dachte sie, während sie beobachtete, wie Albert ihre Truhe auf seine Schulter hob. Was auch immer in der Nacht von Sally Kents Verschwinden von der Burg geschehen war, sie hatte ihre Sachen ganz bestimmt nicht selbst gepackt. Im Gegensatz zu dem, was Polly und Mrs. Gatten dachten, hatte jemand anderes das für sie getan. Jemand, der nicht gewusst hatte, dass hinter dem gerahmten Stickbild ein kleines Vermögen versteckt gewesen war.
Es gab nur sehr wenige Gründe, weshalb eine Gesellschafterin, der ohne Empfehlungsschreiben gekündigt wurde, ohne ihr Geld verschwinden sollte, dachte sie. Und keiner dieser Gründe bedeutete etwas Gutes für die arme Sally Kent.
In der Tür der kleinen Kammer blieb Emma noch einmal stehen und blickte ein letztes Mal hinein. Ihr erster Eindruck war richtig gewesen, dachte sie. Das Zimmer war nicht nur deprimierend, es herrschte tatsächlich eine Atmosphäre der Boshaftigkeit und der Gewalt.
Über alle Maßen froh, Ware Castle zu verlassen, wandte sie sich erleichtert der Treppe zu.
12. Kapitel
»Ich wusste, es würde uns beiden jede Menge Spaß machen.« Letty fegte durch die Tür ihres Stadthauses. »Habe ich Ihnen nicht gleich gesagt, Sie hätten Potential meine Liebe?«
»Ich glaube, Sie haben etwas Derartiges gesagt«, antwortete Emma matt. Sie löste die Bänder ihres Hütchens, während sie hinter ihrer ehemaligen Arbeitgeberin die Eingangshalle betrat. Ein Einkaufsbummel mit Letty erforderte wirklich Kondition, und nun sehnte sie sich beinahe schmerzlich nach einer Tasse Tee.
»Meine Schneiderin wusste genau, was Sie mit Ihrem Busen machen sollte«, stellte Letty mehr als zufrieden fest. »Das hatte ich mir gleich gedacht.«
»Meinen Sie nicht, dass sie meine neuen Kleider ein bisschen zu tief ausschneidet?«, fragte Emma in zweifelndem Ton.
»Unsinn. Tiefe Ausschnitte sind der letzte Schrei, meine Liebe.«
»Ich hoffe, da haben Sie Recht.« Der Ausschnitt ihrer Kleider war noch ihre geringste Sorge, dachte sie.
Die Kleider hatten wesentlich mehr gekostet, als sie an Gehalt bekommen würde, und sie fragte sich, ob sie Edison vielleicht überreden könnte, sie ihr zu überlassen, wenn ihre Arbeit beendet war. Sicher gäbe es dann die Möglichkeit, die Garderobe zu versetzen, so wie man es mit Schmuck und Kerzenständern tat.
»Aber ganz sicher haben Sie das, Letty.« Emma wandte sich der Treppe zu. »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, werde ich meinen Tee auf meinem Zimmer zu mir nehmen. Ich brauche ein wenig Ruhe. Sie haben mich wirklich erschöpft.«
»Gehen Sie nur, meine Liebe. Ruhen Sie sich ein wenig aus. Sie werden noch all Ihre Kraft brauchen. Ich habe allein für die nächste Woche mindestens ein Dutzend Einladungen zu Bällen oder Soireen angenommen, und dazu kommen dann noch eine ganze Reihe nachmittäglicher Höflichkeitsbesuche, die einfach unerlässlich sind.«
Glücklicherweise, dachte Emma, während sie die Stufen erklomm, hätte sie mit den Anforderungen, die das gesellschaftliche Leben an einen Menschen stellte, nicht allzu lange zu tun.
Oben angekommen, ging sie den Flur zu ihrem Schlafzimmer hinab und öffnete die Tür mit einem Gefühl
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