Verstohlene Kuesse
versichere Ihnen, dass ich wesentlich unterhaltsamer und interessanter bin.«
»Aber sicher, meine Liebe. Wie Sie meinen.« Chiltons Stimme klang enttäuscht.
Emma trat lautlos einen Schritt zurück. Sie musste etwas tun. Sie konnte nicht einfach tatenlos hier herumstehen und warten, bis Miranda und Crane das obere Ende der Treppe erreicht hatten.
Sie warf einen Blick über die Schulter. Das einzige Licht kam von einer einzelnen Fackel in der Mitte des dämmrigen Flurs. Schwere, tief in den Stein gelassene Holztüren bildeten die Eingänge diverser Schlafzimmer.
Sie wirbelte herum, raffte ihre Röcke und eilte den steinernen Korridor zurück. Sie müsste sich in einem der Zimmer verstecken, dachte sie. Jeder Raum in diesem Flur gehörte einem der zahlreichen Gäste, aber bestimmt wären sie um diese Stunde alle leer. Die Nacht war jung, und Wares Freunde und Freundinnen waren noch unten, tanzten, flirteten und hatten ihren Spaß.
Vor der ersten Tür machte sie Halt und drehte vorsichtig den Knauf.
Sie war abgeschlossen.
Enttäuscht probierte sie die zweite Tür.
Auch sie war sorgsam zugesperrt.
Panisch hetzte sie zur dritten Tür, zerrte verzweifelt an dem Knauf und seufzte vor Erleichterung, als er sich mühelos bewegen ließ.
Eilig huschte sie in das Zimmer und machte lautlos die Tür hinter sich zu. Dann sah sie sich genauer um. Das helle Licht des Mondes fiel durch die Fenster auf die schweren Vorhänge vor einem großen, baldachinbewehrten Bett. Auf dem Waschtisch lagen eine Reihe Handtücher, und der Ankleidetisch war mit eleganten kleinen Fläschchen übersät. Ein spitzengesäumtes Frauennachthemd hing achtlos über einem Stuhl.
Sie würde hier warten, bis Chilton und Miranda in einem der anderen Schlafzimmer verschwunden wären, und dann würde sie sich über die Hintertreppe auf ihr Zimmer schleichen, dachte sie.
Sie drehte sich um, legte ihr Ohr ans Holz der Tür und lauschte auf die Schritte, die sich näherten.
Plötzlich kam ihr ein schrecklicher Verdacht. Was, wenn sie in Mirandas Schlafzimmer geflüchtet war?
Die Schritte hielten tatsächlich vor der Tür.
»Hier wären wir, Chilton.« Mirandas Stimme wurde vom dicken Holz der Tür gedämpft. »Ich muss nur noch meinen Schlüssel holen.«
Emma trat so eilig einen Schritt zurück, als hätte sie sich plötzlich an der Tür verbrannt. Sie hatte höchstens noch ein paar Sekunden Zeit. Miranda dachte, die Tür zu ihrem Zimmer wäre abgesperrt. Sicher wühlte sie eifrig auf der Suche nach dem Schlüssel in ihrem Retikül.
Emma sah sich verzweifelt in dem Zimmer um. Unter dem Bett war nicht genügend Platz, denn dort hatte der Kammerdiener Mirandas Truhen abgestellt. Also bliebe nur der große Kleiderschrank. Lautlos rannte sie über den dicken Teppich auf ihn zu.
Auf der anderen Seite der Zimmertür wurde Cranes betrunkenes Gelächter laut. Emma hörte, wie etwas Metallenes mit leisem Klirren auf die Steine fiel.
»Da, sehen Sie, was Sie angerichtet haben?«, sagte Miranda in scherzhaft vorwurfsvollem Ton. »Jetzt habe ich ihn fallen lassen.«
»Sie gestatten«, antwortete Chilton ihr.
Emma riss die Schranktür auf, schob einen Berg aufreizender Kleider auseinander, kletterte hinein und zog die Tür hinter sich zu.
Sofort wurde sie in vollkommenes Dunkel eingehüllt, wurde eng an eine starke, felsenharte Brust gezogen, ihre Taille wurde von einem muskulösen Männerarm umfasst, und gerade, als sie schreien wollte, legte sich ihr eine warme Hand über den Mund.
Entsetzen wallte in ihr auf. Das Problem, von Chilton Crane erkannt zu werden, verblasste angesichts der Not, in der sie sich mit einem Mal befand, zu völliger Bedeutungslosigkeit. Kein Wunder, dass die Tür von diesem Zimmer offen gewesen war. Jemand anderes hatte sich bereits vor ihr heimlich Zugang zu der Räumlichkeit verschafft.
»Bitte, Miss Greyson, seien Sie still«, flüsterte Edison Stokes ganz dicht an ihrem Ohr. »Sonst haben wir beide eine Menge zu erklären, fürchte ich.«
Als sie die Tür des Schrankes aufgerissen hatte, hatte er sie umgehend erkannt. Von seinem Versteck hinter einem modischen Spazierkleid hatte Edison flüchtig den goldenen Rand einer Brille blitzen sehen.
Trotz der unhaltbaren Situation, in der er sich befand, empfand er eine eigenartige Zufriedenheit. Dann hatte er in Bezug auf Lady Mayfields vorgeblich so farblose Gesellschafterin tatsächlich Recht gehabt. Bereits als man sie beide miteinander bekannt gemacht hatte, hatte er
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