Verstohlene Kuesse
Aufmerksamkeit galt dem Schatten, der sich ihm unaufhaltsam näherte. Er verströmte eine gefährliche, außergewöhnliche Ruhe, die der Situation nicht im geringsten angemessen schien.
Sie dachte daran, um Hilfe zu rufen, aber sie fürchtete, dass der Schrei im herrschenden Lärm des Ballsaals unterging, und so starrte sie entgeistert auf die beiden Männer, die sich beinahe gelassen einander näherten.
Erst in diesem Augenblick wurde ihr klar, dass Edison sich mit derselben geisterhaften, flüssigen Geschmeidigkeit bewegte wie der Angreifer. Sie konnte ihm nur mit Mühe folgen, denn obgleich alles vollkommen mühelos erschien, wechselte er innerhalb des Bruchteils einer Sekunde seine Position.
Das Kreisen der beiden Männer wirkte wie die tödliche Parodie auf einen Tanz. Schließlich machte der Schurke den Anfang, indem er sein Bein nach vorne schießen ließ. Edison bewegte sich ein Stück zur Seite, so dass der Tritt ins Leere ging.
Der Angreifer knurrte leise auf, sprang in die Luft und trat ein zweites Mal zu. Edison war ihm zu nahe, als dass er ihm vollkommen hätte ausweichen können, und so knickte er seinen Oberkörper ab, worauf der Hieb ihn nicht mitten auf der Brust, sondern ein Stückchen seitlich traf. Trotzdem reichte die Wucht, dass er rückwärts taumelte.
Er ging zu Boden und in einem Nebel bizarrer, gewundener Bewegungen schob sich sein dunkler Gegenspieler über ihn.
»Nein. Tun Sie ihm nicht weh.« Emma raffte ihre Röcke und stürzte los. Sie hatte keine Vorstellung, wie sie den Angreifer abwehren sollte, wusste nur, dass sie etwas tun musste, ehe er Edison ermordete.
»Bleib, wo du bist, Emma.«
Edisons Befehl brachte sie zum Stehen, und sie riss verblüfft die Augen auf, als er seinem Gegner kraftvoll gegen den Oberschenkel trat.
Jetzt taumelte der dunkle Geist zurück, und Edison sprang auf. Sein Gesicht im kalten Mondlicht verriet äußerste Konzentration. Er verströmte eine Emma bisher unbekannte Gefährlichkeit. In diesem Augenblick erkannte sie, dass er in der Lage war zu töten. Eine Erkenntnis, die sie in ihren Grundfesten erschütterte.
Offenbar hatte auch der Angreifer gespürt, dass Edison gefährlich und er nun im Vorteil war. Er wirbelte herum, sprang über einen hüfthohen, sorgsam zurechtgestutzten Busch und flüchtete.
Edison rührte sich, und Emma fürchtete, er nähme die Verfolgung seines Gegenspielers auf.
»Edison, nicht.«
Er blieb stehen und wandte sich ihr zu. »Sie haben Recht. Es ist zu spät. Ich fürchte, er ist um einiges jünger als ich und ginge ohne Zweifel aus einem Wettrennen als Sieger hervor.«
»Ist alles in Ordnung?«, fragte sie besorgt.
»Ja.«
Sie beobachtete, wie er sich mit den Fingern durch die Haare fuhr, seine schneeweiße Krawatte zurechtrückte und seinen Mantel glättete. Als er fertig war, wirkte er wieder ebenso elegant wie vor dem Kampf. Es hatte durchaus Vorteile, wenn man überwiegend schwarz gekleidet war, stellte Emma ein wenig neidisch fest. Auf Schwarz sah man keine Grasflecken.
Er nahm ihren Arm und kehrte mit so großen Schritte in Richtung des Ballsaales zurück, dass sie beinahe rennen musste. Doch sie gab keinen Ton von sich.
Als sie die Terrasse erreicht hatten, sah er sie an und runzelte die Stirn. »Sie zittern ja wie Espenlaub.«
Obgleich er sich wieder vollkommen unter Kontrolle zu haben schien, loderte in seinen Augen immer noch die Kampfeslust.
»Ich weiß wirklich nicht warum«, antwortete sie. »Vielleicht ist es hier draußen auf Dauer wirklich etwas zu kühl.«
15. Kapitel
Edison hielt sich zurück, bis der Kutscher die Tür hinter ihm schloss und den Kutschbock erklomm. Als das Fahrzeug schließlich leicht schwankend die Straße hinunterholperte, schloss er mit einem Ruck die Vorhänge, versank tief in seinem Sitz und starrte Emma reglos an.
Ihr Blick drückte ehrliche Besorgnis um ihn aus. »Sind Sie sich ganz sicher, dass dieser widerliche Schurke Sie nicht verletzt hat, Sir?«
»Er hat mich nicht verletzt.« Zumindest nicht ernsthaft, verbesserte er im Geist. Sicher hätte er morgen ein paar schmerzhafte Prellungen, doch das geschah ihm durch aus Recht. Er hatte wirklich ziemlich langsam reagiert. Aber schließlich hatte er auch seit Jahren nicht mehr mit Vanzatechniken gekämpft. Und das Letzte, was er in dieser Nacht erwartete hatte, war eine Begegnung mit einem Schüler dieser Kunst.
Aber schließlich war nichts an dieser ganzen Sache auch nur annähernd normal. Am wenigsten seine
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