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Verstoßen: Thriller (German Edition)

Verstoßen: Thriller (German Edition)

Titel: Verstoßen: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Verhoef , Berry Escober
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Menschen als Schachfiguren. Die man hin und her schieben konnte, um sein Ziel zu erreichen. Ich glaube, er war an jenem Abend als Einziger in der Lage, klar zu denken. Also konnte er dem Ganzen die Richtung geben, die ihm am besten passte. Indem er uns überredete, Carl im Garten zu begraben, obwohl tausend andere Orte sich viel besser dafür geeignet hätten, führte er schon einen Teil seines Plans aus. Die Beziehung zwischen deinem Vater und mir wurde dadurch auf eine enorme Zerreißprobe gestellt. Das muss er gewusst haben. Und er hat Walter mit in die Sache hineingezogen. Walter war jemand, der sich von unserem Lebensstil angezogen fühlte, von den Ideen deines Vaters und auch von Rogers Charisma. Aber im Grunde war er ein sehr unsicherer Mensch. An Roger und deinem Vater konnte er sich ein wenig aufrichten. Indem Roger ihn zum Mitwisser machte, bürdete er ihm einen Teil der Schuld auf und machte
ihn damit mundtot. Aber das war mir damals nicht bewusst. Und den anderen wohl auch nicht. Wie Roger es darstellte, klang es alles ganz logisch. Und als ich dahinterkam, dass er die Sache ganz in seinem Sinne arrangiert hatte, war es zu spät. Da kam ich aus dem Ganzen schon nicht mehr raus.«
    »Dann hat er aber mit hohem Einsatz gespielt«, sagte Susan. »Schließlich hättest du dir auch überlegen können, ihn anzuzeigen. An deiner Stelle hätte ich das wahrscheinlich getan. Ich glaube, ich wäre lieber ins Gefängnis gegangen, als mich so manipulieren zu lassen.«
    Jeanny sah ihre Tochter ungerührt an. »Klar. Du hast keine Kinder. Aber was hätte aus dir werden sollen, wenn dein Vater und ich im Gefängnis gelandet wären? Du warst minderjährig, du wärest in ein Heim gekommen. Mit dem Risiko, dass die Stasi eines Tages an dir ein Exempel statuieren würde. Inzwischen ist die Mauer gefallen, und die Stasi ist eine Fußnote in den Schulbüchern. Es ist Geschichte. Aber das wussten wir damals noch nicht. Konnten wir auch nicht wissen. Wir steckten mittendrin. Die Bedrohung war ganz real. Roger wusste, dass ich das Risiko nicht eingehen würde. Nicht eingehen konnte. Er wusste genau, dass ich ihn niemals anzeigen würde, weil ich damit meine eigene Familie kaputtgemacht hätte.«
    »Du bist um meinetwillen gegangen«, sagte Susan leise.
    Jeanny drehte sich zu ihr um. »Es wäre nie so weit gekommen, wenn ich diesen Fehltritt nicht begangen hätte. Wäre ich an jenem Abend nicht ins Atelier gegangen, wäre das alles nicht passiert. Das muss ich seither oft denken.«
    Susan hatte Roger nur undeutlich in Erinnerung. »So wie du Roger beschreibst, wäre es eines Tages sowieso schiefgegangen. «
    »Wer weiß.«
    »Ich kann kaum glauben, dass Papa das alles zugelassen hat. Er muss doch außer sich gewesen sein vor Wut.«
    Jeanny grinste freudlos. »Die Stasi war nicht blöd. Aber ziemlich paranoid. Wenn plötzlich auch noch Roger verschwunden wäre, so kurz nach Carl, hätten sie ein paar Leute bei uns vorbeigeschickt. Dein Vater war cholerisch, aber er war kein Idiot.«
    Susan wich dem plötzlich tieftraurigen Blick ihrer Mutter aus. »Es war also pure Rachsucht«, sagte sie leise.
    »Roger war gekränkt. Es war reines Machtgehabe.«
    »Wie ist es weitergegangen?«
    »Nachdem er mich mehr oder weniger für vogelfrei erklärt hatte, drückte er mir einen britischen Pass in die Hand. Ich schlug ihn auf und stieß auf mein eigenes Passbild. Er hatte alles schon geplant, alles. An der Fähre in Vlissingen setzte er mich ab. Bei der Ankunft in England wurde ich gleich von einem Kerl abgeholt, der Roger als Freund betrachtete. Fast drei Jahre lang habe ich bei ihm gewohnt, bis ich endlich eine Gelegenheit fand zu entwischen. Roger hat mich bis heute nicht gefunden.« Sie lächelte bitter. »Das ist mein kleiner Sieg.«
    »Warum bist du denn nicht wieder nach Hause gekommen?«
    »Ich hab mich nicht getraut. Ich hatte immer noch Angst, meine Rückkehr könnte böse Folgen haben.«
    »Aber ’89 ist doch die Mauer gefallen. Danach konnte Roger dir doch nichts mehr anhaben.«
    Jeanny starrte auf die Spitzen ihrer Stiefel und verlangsamte ihre Schritte. »Ich saß vor dem Fernseher damals, und ich weiß noch, dass ich kurz davor war, meine Sachen zu packen und mit dem erstbesten Schiff in die Niederlande zurückzufahren. Aber ich … traute mich nicht mehr. Ich meine, nach all den Jahren, was hätte ich tun sollen? Bei euch an der Tür klingeln und sagen: ›Hallo, Mädels, da bin ich wieder!‹?« Jeanny schüttelte den Kopf.

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