Verstoßen: Thriller (German Edition)
der Flinte in der rechten Hand. Wie eine Raubkatze, so dicht am Boden, dass er von der Umgebung nicht zu unterscheiden war. Die stoppelige, abgegraste Weide fühlte sich feucht an unter seinen Händen, genau wie die vielen Schafskötel, denen er unmöglich ausweichen konnte. Sie lagen überall, wie Konfetti auf dem Bürgersteig nach einem Straßenfest. Ab und zu rutschte er auf einem Stück Fels aus oder bahnte sich einen Weg durch einen schmalen Wasserlauf hindurch, behutsam und gelenkig. Seine Haut war feucht, die Kleidung
klamm. Weder seine Jacke noch die Hose konnten strömendes Wasser abhalten, mochte es auch nur wenige Zentimeter tief sein. In einiger Entfernung standen Schafe. Sie bemerkten ihn durchaus, er sah ihre Ohren wackeln, doch sie gerieten nicht in Panik und kamen auch nicht neugierig näher.
Er nutzte natürliche Deckung so weit es ging. Sträucher, vorstehende Felsstücke, das Gefälle der Hügelflanke, kleine Bäche. Stets darauf bedacht, dass der andere vielleicht auf dieselbe Idee gekommen war und irgendwo in der Nähe seinen Posten bezogen hatte.
Maier musste wachsam bleiben.
Den Infrarot-Illuminator hatte er ausgeschaltet, um die Batterien zu schonen. Er sah genug: Das Nachtglas lieferte ein gutes, klares Bild. Die Phosphorschicht, auf die das Bild der Umgebung projiziert wurde, färbte alles grün und schwarz ein, als würde man die Umgebung an einem hellen Sonnentag durch dicke dunkelgrüne Brillengläser betrachten. Anfangs war das Gerät ihm schwer vorgekommen – es wog etwa ein halbes Kilo –, aber durch das Stirnband wurde das Gewicht gut verteilt. Er hatte sich ziemlich schnell daran gewöhnt.
Während er sich im Zickzackkurs allmählich zum höchsten Punkt des Hügels vorarbeitete, blieb er alle zehn Meter still liegen, horchte in die Weite und sah sich im Radius von hundertachtzig Grad vorsichtig um. Immer mehr fühlte er sich in seinem Element. Er hatte sich noch nie zuvor in solchem Maß eins mit der Natur gefühlt wie hier, eine Stunde nach Mitternacht, auf dem kalten walisischen Felsenboden.
Im Stillen hoffte er darauf, dass es zu einer Konfrontation käme. Mehr denn je war er dazu bereit. Zwei Tage und drei Nächte mit der taufrischen Schwiegermutter auf begrenztem Raum eingeschlossen zu sein, hatte ihm absolut gereicht. Es hätte nicht viel länger dauern dürfen. Das lag nicht an Jeanny. Sie hatte ihm am Nachmittag seiner Ankunft gesagt, was sie
ihm zu sagen hatte, und es dabei belassen. Am nächsten Morgen hatte sie Eier mit Speck für ihn gebraten und seine Klamotten gewaschen. Eigentlich war das ziemlich fair.
Aber es war ihm nach wie vor unangenehm, dass er das Gefühl hatte, sich nicht frei äußern zu können. Sie hockten sich einfach zu nahe auf der Pelle, und auf der gesamten Situation lag ein enormer Druck. Kein guter Nährboden für ein harmonisches Verhältnis.
Wenn es ihm gelang, seinen Gegner aufzuspüren und ihm ein paar Antworten aus der Nase zu ziehen, würde es zumindest vorangehen. Svens Mörder konnte sie zu dem Drahtzieher führen, der den Mord veranlasst hatte, oder zumindest zu demjenigen, der das Feuer an die Lunte gelegt hatte, die Maier hinter sich herschleifte.
Falls das nicht gelang, gab es immer noch die Option, nach Frankreich zu fahren, nach Le Chesnay, und dem alten Freund von Sven einen Besuch abzustatten. Der hatte Alain gekannt und konnte ihm also mehr erzählen. Aber Maier wusste genau, wie jämmerlich sein Französisch war. Zwar konnte er seine grauen Zellen normalerweise bei Bedarf rasch in Schwung bringen. Aber anders als John Travolta in Phenomenon war er nicht von einem kosmischen Lichtstrahl getroffen worden, sodass er innerhalb einer halben Stunde ein Portugiesisch-Wörterbuch inklusive Grammatik hätte auswendig lernen können.
Davon war er weit entfernt.
Und Sven fiel als Dolmetscher aus.
Als ihm dieser Gedanke durch den Kopf ging, musste er auch wieder an seine Freunde in Uniform denken, den Fragensteller und den Beobachter. Vielleicht hatte sein Hinweis auf das Telefonat, das Sven angeblich geführt hatte, ja schon genügend Anknüpfungspunkte geliefert. Dann würde er sich eher verdächtig machen, wenn er plötzlich in Le Chesnay auf der Bildfläche erschien. Denn er hatte dort, nüchtern betrachtet, nichts verloren.
Wie er den beiden Ermittlern seine plötzliche Abreise aus Den Bosch erklären sollte, musste er sich später auch noch mal gründlich überlegen. Vorausgesetzt, dass er dazu noch kam.
Er drückte sich
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