Verstoßen: Thriller (German Edition)
sagte sie. »Das ist doch kein Leben.«
»Sven hat auch kein Leben mehr.«
Er schaute nach draußen. Dann wieder zur Bar. Jeanny hatte bestellt, der Barkeeper hatte drei Tassen neben den Espressoautomaten gestellt.
»Du musst aufhören, dir Vorwürfe zu machen«, sagte Susan. »Und außerdem hast du doch inzwischen auch deine Zweifel, ob es wirklich derselbe ist.«
»Ob ich meine Zweifel habe oder nicht, spielt keine Rolle.«
»O doch! Komm, du hast in der Dämmerung einen Kerl wegrennen sehen, und tags darauf taucht er angeblich hier auf. Wie lang sollen wir denn noch …«
»Nicht mehr lange«, unterbrach er sie. Seine Stimme klang angespannt, und so fühlte er sich auch.
»Das sagst du schon seit zwei Tagen.«
Sie sahen sich an. Er kannte diesen Blick bei ihr. So schaute sie Reno an, wenn der in einer seiner querköpfigen Phasen war.
Er ergriff ihre Hand. »Bin ich ungerecht?«
»Ich weiß es nicht. Ich weiß einfach nicht mehr, was ich glauben soll. Wenn du recht hast, und der Typ ist tatsächlich hierhergeschickt worden, worauf wartet er dann seit zwei Tagen, Sil? Seit zwei Tagen und drei Nächten?«
Während er noch nach Worten suchte, um ihr den Ernst der Lage begreiflich zu machen, kam ihm ein neuer Gedanke: Susan hatte in gewisser Hinsicht recht. Dass dieser Kerl, mit dem er schon in der ersten Nacht gerechnet hatte, auch in den zwei folgenden Nächten noch nicht gekommen war, hatte etwas zu bedeuten. Er analysierte. Ging von allen möglichen Ausgangspunkten an die Sache heran und kam schnell zu einer Schlussfolgerung. Schnell, aber nicht überstürzt, nicht voreilig, vielleicht, weil das Resultat stimmte.
Zwei Tage bedeuteten gar nichts. Wenn er selbst Beobachtungsposten bezogen hatte, war Maier häufig wochenlang in Deckung geblieben. Tagein, tagaus, um sich ein klareres Bild davon machen zu können, was ihn erwartete. Um die Gewohnheiten, die Wege seiner Zielperson kennenzulernen. Bekam diese regelmäßig an bestimmten Tagen und zu bestimmten Uhrzeiten Besuch, und wenn ja, von wem? Auf solche Details kam es an. Eine gute Vorbereitung war ausschlaggebend.
Wenn es sich tatsächlich um denselben Typen handelte, musste er, um mittags bereits hier sein zu können, unmittelbar nach dem Mord an Sven nach Wales weitergefahren sein und hatte folglich keine Zeit gehabt, sich auszuschlafen und die Lage zu peilen. Dieser Fehler in seiner Vorbereitung hatte sich sofort gerächt. Vielleicht war er nun vorsichtiger geworden. Ließ sich mehr Zeit für die Planung. Vielleicht wollte er sichergehen, dass ihm niemand in die Quere kam, wenn er zuschlug. Vielleicht schlug er nächste Woche zu. Oder nächsten Monat.
Je nachdem, wie lange er brauchte, um sich über Jeanny und ihr Umfeld eine Übersicht zu verschaffen.
Plötzlich wurde ihm alles klar.
Warum hatte er das bloß vorher nicht gesehen?
Jeanny kehrte zum Tisch zurück und stellte die ersten beiden Tassen Kaffee ab. Ging die dritte holen und setzte sich wieder neben Susan.
»Du müsstest gleich noch mal Geld für mich wechseln«, sagte er zu Jeanny.
Sie blickte auf.
»Hier gibt es doch wohl eine Bank?«, fragte er rasch.
»Wales ist kein Entwicklungsland.«
Er rang sich ein Lächeln ab. »Schön.«
Ein armeegrünes Hawke Blackwatch Endurance für zweihundert englische Pfund in der Hand, versuchte Maier sich zu erinnern, wie die Angaben auf Ferngläsern zu lesen waren. Wenn er sich recht entsann, stand die erste Zahl für den Vergrößerungsfaktor: Je höher diese Zahl war, umso größer wurde das Objekt wiedergegeben. 10 x 42, lautete die Angabe hier. Die Standardvergrößerung war sieben, also musste es für seine Zwecke ausreichen. Die Schärfe hing unter anderem von der zweiten Zahl ab, dem Linsendurchmesser. Je größer der war, desto mehr Licht fiel in die Linse, und desto ruhiger und zitterfreier wurde das Bild. Fast noch wichtiger war jedoch die Qualität der Linsen und der Beschichtung. Dieses Hawke wurde besonders wegen seiner speziellen, grün beschichteten Gläser empfohlen. Den vollmundigen Werbesprüchen auf der Verpackung nach zu urteilen, war der Fabrikant davon ziemlich begeistert.
Aber ein Fernglas konnte noch so ausgeklügelt sein – vor allem musste es zu der Person passen, die es benutzte. So ähnlich wie eine Jacke zu ihrem Träger.
Er hob das Fernglas an die Augen und nahm durch das Schaufenster die Menütafel eines Restaurants auf der anderen Straßenseite in den Blick. Ein Frühstück mit Baked Beans und Wurst für
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