Verstoßen: Thriller (German Edition)
ignorieren. Es konnte nichts Ernsthaftes sein. Es kam kein Blut hoch, wenn er atmete, also war seine Lunge unverletzt. Arme
und Beine taten es offenbar auch noch. Es war nur der Schmerz. Er warf einen raschen Blick auf die Wunde. Seine Jacke hatte einen Riss abbekommen. Darunter blutete es. Das war wenig überraschend. Er überdachte die Situation noch einmal und kam zu dem Schluss, dass das kleine Waldstück beträchtlichen Schutz bot. Da es rundum von Weideland umgeben war, konnte sein Verfolger sich schwerlich ungesehen nähern. Aber Maier konnte auch nicht alle Richtungen, aus denen man sich nähern konnte, gleichzeitig im Blick behalten. Für einen Einzelnen war das ein Ding der Unmöglichkeit, mit oder ohne Restlichtverstärker.
Das Waldstück hatte eine leicht ovale Form und war in der Mitte etwa zwanzig Meter breit. Der andere Mann konnte sich mittlerweile auch südlich von ihm befinden oder westlich. Er konnte überall sein. Unwillkürlich blickte Maier über die Schulter. Nichts.
Er rappelte sich auf. Die Bewegung versetzte ihm einen heftigen, stechenden Schmerz in der Seite. Er sagte sich noch einmal, dass es nicht so schlimm sein konnte. Eine Schürfwunde, ein Missgeschick. Nichts Besonderes. Nur schmerzhaft.
Er ging ein Stück weiter und blieb an einem der Bäume stehen. Strich mit der Hand über die Rinde. Eine dicke, schorfartige Borke, unregelmäßig und knorrig. Er schob den Sicherheitsriegel der William Powell auf »safe« und warf sich das Jagdgewehr über die Schulter, sodass die Waffe an dem improvisierten Tragegurt auf dem Rücken baumelte. Seine Hände schlossen sich um den untersten Ast. Das feste Gummi seiner Schuhsohlen fand an der Baumrinde Halt, und er stieß sich ab. Stück für Stück arbeitete er sich nach oben. Biss die Zähne zusammen vor Schmerz, der jetzt, da eine offenbar beschädigte Muskelpartie beansprucht wurde, umso heftiger war.
Die Blätter raschelten, während die Zweige sich unter seinem Gewicht durchbogen und zurücksprangen. Fast schon außer
Atem, kletterte er weiter, bis er eine Höhe von etwa fünf Metern erreicht hatte.
Er schaute nach unten. Das Blattwerk nahm ihm die Sicht auf den Boden. Umso besser. Das bedeutete, dass der Kerl umgekehrt auch ihn nicht sehen konnte.
Der Ast war dick genug, um sein Gewicht zu tragen. Rücklings mühte er sich hinauf, den Stamm als Rückenstütze benutzend, und zog die Beine nach. Presste den Rucksack gegen den Stamm und fand ins Gleichgewicht. Minutenlang blieb er still sitzen, nur das Geräusch des plätschernden Wassers unter sich und das leise Rauschen der Blätter um sich herum.
Nichts geschah.
Durch einen Blätterkranz hindurch schaute er nach links, in das Weideland. Grün fluoreszierender Phosphor tanzte vor seinen Augen. Es war nichts Ungewöhnliches zu sehen.
Alles sah ganz still aus. Fast schon verlassen.
Aber er wusste, dass dieser Gedanke schon öfter Menschen das Leben gekostet hatte.
Nach weiteren langen Minuten, in denen nichts geschah, fasste er einen Entschluss. Er ließ sich hinabsinken, bis er auf dem nächsten Ast, der dick und vom Tau ganz glatt war, neuen Halt fand. Zwischendurch blickte er immer wieder um sich. Jetzt wurde auch der Boden sichtbar. Jedes welke Blatt, jeder einzelne Grashalm leuchtete grün auf. Sein Blick fiel auf eine platt getretene Coladose.
Er ging in die Hocke und nahm die Flinte von der Schulter. Indem er, um das Klicken zu dämpfen, das kalte Metall mit der einen Hand abdeckte, entsicherte er die Waffe. Stützte den Kolben an die Schulter. Scannte über den doppelten Lauf hinweg die Gegend.
Er hörte etwas knacken. Links von sich. Es klang so leise, dass er es gar nicht bemerkt hätte, wäre nicht jede Faser in seinem Körper bis zum Zerreißen angespannt gewesen. Reflexartig
wandte er den Oberkörper nach links und drückte das Jagdgewehr fester an die Schulter.
Da war er.
Der Mann bewegte sich so langsam und fließend, dass es kaum auffiel. Von einem im Weideland vorstehenden Felsbrocken aus kroch er geradewegs auf das Waldstück zu. Dicker Buckel auf dem Rücken – ein Rucksack. In der Hand hielt er etwas Längliches – eine Schusswaffe.
Maier konzentrierte sich. Folgte mit dem Blick dem stählernen Lauf der Waffe und versuchte, den Abstand zu schätzen. Dreißig Meter? Der guten Sicht nach zu urteilen, vermutlich eher weniger. Zwanzig Meter? Vielleicht. Noch ein bisschen näher, und er konnte ihn tödlich treffen.
Doch das durfte er nicht.
Maier schloss das linke
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